Paul Cornish – Trio mit telepathischem Verständnis
Paul Cornishs “You’re Exaggerating!“ ist eines der aufregendsten Jazzdebüts der letzten Jahre. Der 28-Jährige glänzt hier als brillanter Pianist, ideenreicher Komponist und Kopf eines atemberaubend gut aufeinander eingespielten Trios.
Paul Cornish(c) Piper Ferguson
21.08.2025
Der aus Houston, Texas, stammende und seit rund zehn Jahren in Los Angeles ansässige Pianist Paul Cornish konnte sein Profil in den vergangenen sieben Jahren bereits durch Aufnahmen mit John Legend, Terrace Martin, Theo Croker, David Binney und Jamire Williams schärfen. Doch erst durch die Zusammenarbeit mit dem Saxofonisten Joshua Redman, der ihn letztes Jahr auf Tournee mitnahm und kürzlich als Mitglied seines neuen Quartetts auch auf seinem zweiten Blue-Note-Album “Words Fall Short” präsentierte, eröffnete sich dem 28-Jährigen endlich die Möglichkeit, sein erstes Album unter eigenem Namen aufzunehmen. Das erstaunliche Debüt hat er nun unter dem Titel “You’re Exaggerating!” ebenfalls bei dem von Don Was geführten, traditionsreichen Jazzlabel vorgelegt. Dabei ist es gut möglich, dass der legendäre Produzent den Pianisten schon viel länger auf dem Radar hatte. Denn Cornish ist seit mehr als sieben Jahren auch Mitglied der schrägen Funk-Band Thumpasaurus. Und am Schlagzeug sitzt dort mit Henry Was einer der Söhne des Blue-Note-Präsidenten. Auf “You’re Exaggerating!” stellt Cornish allerdings sein eigenes Trio mit dem Bassisten Joshua Crumbly und dem Schlagzeuger Jonathan Pinson vor. Die beiden gebürtigen Angelenos sind schon seit Jahren seine musikalischen Partner und engen Freunde.
Dass die drei inzwischen auf geradezu telepathische Weise miteinander kommunizieren, ist auf “You’re Exaggerating!” in jedem Moment zu spüren. Laut Cornish ist das gesamte Album eine Art Übung in sich aneinanderreihenden Abstraktionen – ein Mysterium, bei dem das Gefühl der Überraschung und nicht die Auflösung im Vordergrund steht. Angeführt von dem Bandleader zerlegt das Trio die Grooves nach Belieben, setzt sie dann neu zusammen und begibt sich dabei auf unvorhersehbare Abwege. Der Pianist, der alle neun Stücke komponierte, ist ein Meister ausgewogener Texturen und raffinierter Harmonien. Er möchte die Hörer/innen mit seiner Musik weniger beeindrucken als vielmehr verlocken. Erstaunlich gut fügt sich in das Gesamtkonzept auch der Gitarrist Jeff Parker ein, der sich in dem Stück “Palindrome” als Gast zu dem Trio gesellt. Zu den absoluten Höhepunkten des Albums, das tatsächlich keinerlei Schwächen erkennen lässt, gehören zweifellos der ausgelassene “Dinosaur Song” und “Queen Geri”. Ersterer scheint eine doppelte Hommage zu sein: Einerseits an seine Kollegen von Thumpasaurus und andererseits an deren Vorbild Was (Not Was), die alte Band von Don Was, die 1987 mit “Walk the Dinosaur” ihren größten Hit hatte.
“Queen Geri” hingegen ist eine atemberaubende Hymne an die 2017 gestorbene Pianistin Geri Allen, die zu Cornishs größten Einflüssen zählt. “Sie verstand es, einen eher avantgardistischen und abenteuerlichen Geist in ein traditionelleres Jazzumfeld einzubringen – und umgekehrt”, sagt Paul Cornish über sie. “Sie musste sich nicht verstellen, um in eines dieser Umfelder zu passen. Sie war, wer sie war. Als ich ihre Musik zum ersten Mal hörte, nahm ich eine Reihe von Einflüssen wahr: Detroit, Motown, westafrikanische Trommeln und die gesamte Geschichte des Klaviers. Niemand konnte Geri in eine Schublade stecken. Das hat mich ungeheuer inspiriert.”
Eine weitere große Inspiration für Paul Cornish war der ebenfalls aus Houston stammende Robert Glasper. Als er im Alter von zwölf Jahren dessen frühe Trio-Aufnahmen für Blue Note entdeckte, wusste Cornish, dass er genau solche Musik auch machen wollte. Wie Glasper besuchte Cornish später die renommierte High School for the Performing and Visual Arts in Houston und ging anschließend nach Los Angeles. Dort erhielt er als einer von nur sieben Auserwählten ein Vollstipendium für das Herbie Hancock Institute of Jazz an der UCLA. In dieser Zeit entwickelte er eine tiefe persönliche und kreative Beziehung zu Hancock und Wayne Shorter – zwei seiner größten Idole und Ikonen der bewegten Geschichte von Blue Note. Mit seinem Debütalbum “You’re Exaggerating!” hat Paul Cornish dieser Geschichte gerade ein neues, spannendes Kapitel hinzugefügt.