Paul Bley | News | Paul Bley - Solo in Mondsee

Paul Bley – Solo in Mondsee

20.06.2007
“Improvisation”, so meinte Paul Bley einmal, “ist Nahrung für das Hirn der Hörer.” Und von dieser gibt es auf “Solo in Mondsee”,dem neuen Album des zitierten kanadischen Pianisten, jede Menge. Bley, der dieses Jahr seinen 75. Geburtstag feiert, versorgt Jazzaficionados nun schon seit einem halben Jahrhundert mit ebenso auf- wie anregenden Improvisationen, die er aus einem schier unerschöpflichen Ideenfundus zu zaubern scheint. “Er ist ein Genie”, urteilte der bekannte Kritiker Nat Hentoff in der Village Voice. “Es gibt nur wenige Pianisten, ganz gleich welchen Genres, die auf solch faszinierende Weise überraschende Schönheit und überraschenden Intellekt miteinander verweben.” Der Melody Maker bezeichnete Paul Bley einst als das “leise Genius des Free Jazz”. Die zehn Mondsee-Variationen geben davon wieder einmal sehr beredt Zeugnis.
Am 10. November 2007 wird der in Montréal geborene Pianist seinen 75. Geburtstag feiern. Rechtzeitig vor diesem Jubiläum veröffentlicht das Label ECM nun “Solo in Mondsee”, Paul Bleys erstes Piano-Soloalbum bei ECM in 35 Jahren. Das letzte war 1972 das längst als Klassiker geltende Album “Open, To Love”. In der zwischen diesen beiden Alben verstrichenen Zeit erspielte sich der in Pianist weltweit einen Ruf als einer der ganz großen Meister der Soloimprovisation. Dokumentiert wurde seine Entwicklung auf Alben für die unterschiedlichsten Label, darunter auch das von ihm selbst gegründete Improvising Artists Inc. (IAI). Für ECM nahm Bley in dieser Zeit Alben in den unterschiedlichsten Konstellationen auf: etwa mit Gary Peacock und Paul Motian (“Not Two, Not One”, 1998), Evan Parker und Barre Phillips (“Paul Bley/Evan Parker/Barre Phillips”, 1994), Gary Peacock, Tony Oxley und John Surman (“In The Evenings Out There”, 1991), Bill Frisell, John Surman und Paul Motian (“Fragments”, 1986, und “The Paul Bley Quartet”, 1987).
 
Zum Solospiel stiftete den Pianisten, wie er in dem Buch “Horizons Touched: The Music of ECM” (Granta, London, 2007) verrät, der Produzent Manfred Eicher an: “Bevor Manfred mich damals anrief und fragte ‘Möchtest du ein Soloalbum machen?’, hatte ich mich mit diesem Gedanken noch nie auseinandergesetzt. Das zeigt, wie lange das schon her ist. Der Anruf von ECM erreichte mich in einer Zeit, als ich versuchte, der langsamste Pianist der Welt zu sein, was wiederum mit dem Werk zu tun hatte, mit dem ich damals gerade meine elektronische Phase beendet hatte: Eines der Dinge, die ich an der Elektronik mochte, war, daß sie einem die Möglichkeit gab, Töne lange zu halten. Bei meiner Rückkehr zur akustischen Musik wollte ich auf dem Flügel dasselbe erreichen, was mir zuvor mit Hilfe der Elektronik gelungen war.” Dies gelang auf “Open, To Love” auch weitestgehend. Der Fokus lag bei dem Album auf Raum, Stille und langsamen Tempi und betonte das singende Zusammenspiel von Obertönen beim Zerfall von angeschlagenen Akkorden in einer Weise, die noch heute – über drei Jahrzehnte später – radikal anmutet. Wenn man sagen kann, daß es eine “ECM-Ästhetik” tatsächlich gibt, dann lieferte dieses Album mit seinen langsamen Songs dafür eine frühe Blaupause. 
 
Seitdem sind allerdings 35 Jahre verstrichen. Die Idee für das neue Soloalbum von Paul Bley entstand während der Aufnahmesessions für das Album “Not Two, Not One” (ECM 1670), das der Pianist mit seinen alten Weggefährten Gary Peacock und Paul Motian einspielte. Mit der Scheibe ließ Paul Bley ein Trio wieder aufleben, mit dem er in den 60er Jahren gearbeitet hatte: In derselben Besetzung war ein Großteil des Albums “Paul Bley with Gary Peacock” (ECM 1003) entstanden. “Not Two, Not One” wurde 1998 im New Yorker Avatar-Studio aufgenommen und war Bleys erste Aufnahme mit einem Flügel von Bösendorfer.
 
Noch im selben Jahr spielte der klassische Pianist András Schiff für Manfred Eicher auf einem superben  Bösendorfer Imperial Grand im österreichischen Mondsee seine Schubert-Fantasien ein (ECM New Series 1699). Im April 2001 kehrte Eicher mit Paul Bley an diesen Ort zurück, um von diesem “Solo in Mondsee” einspielen zu lassen. Es schien ein logischer Schritt: zuerst nahm er dort den großartigen ungarischen Klassikinterpreten auf, dann den kanadischen Meisterimprovisierer.
 
Das fast einstündige Improvisations-Recital beginnt mit einem donnernden Cluster auf dem Bösendorf-Imperial-Flügel. Aus dem Stegreif entwickelt Paul Bley danach ein faszinierendes Programm mit kaleidoskopisch zersplitterten Melodien, fernen Anklängen an Standards, Abstrahierungen des Blues und spontanen, völlig freien Improvisationen.