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Manu Katché doppelt ausgezeichnet

29.11.2006
Es ist nach wie vor einen Seltenheit, daß ein Album – zumal im Jazz – kommerziell erfolgreich ist und zugleich auch künstlerisch höchsten Ansprüchen genügt. Dem französischen Schlagzeuger Manu Katché ist aber genau dies mit seinem ECM-Debütalbum “Neighbourhood” gelungen. Völlig zurecht erhielt er folglich sowohl einen Jazz Award (für über 10.000 verkaufte Einheiten) als auch den Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik.
In der Begründung des Komitees, das für die Verleihung der Jahrespreise der Deutschen Schallplattenkritik verantwortlich zeichnet, heißt es: “Die Kombination der Musiker, die Katché für dieses Projekt zusammengestellt hat, ist so überraschend und unerwartet wie einleuchtend und überzeugend: der polnische Trompeter Tomasz Stanko, der Pianist Marcin Wasilewski und der Bassist Slawomir Kurkiewicz, allesamt übrigens Mitglieder seines Quartetts, treffen auf den in Hochform spielenden, vitalen norwegischen Saxophonisten Jan Garbarek. Die Chemie der Formation stimmt absolut, sowohl in der Rhythmusgruppe als auch zwischen den Bläsern. Delikat und entspannt gleichermaßen entspinnen sich die sketchartigen Kompositionen Katchés. Sein luzides Schlagwerk drängt sich nie in den Vordergrund.

Als französisch-polnisch-norwegische Produktion dokumentiert diese gelungene und interessante CD die musikalischen Qualitäten europäischer Nach-
barschaft.” Als der vielbeschäftigte Schlagzeuger kürzlich zur Entgegennahme der Auszeichnungen in Berlin weilte, fand er zwischen Tür und Angel eine Viertelstunde Zeit, um Wolf Kampmann für JazzEcho kurz ein paar Fragen zu beantworteten:

Das Album “Neighbourhood” ist aus der Perspektive des Hörers sehr offen. Ist es das auch aus der Perspektive des Machers?

Ich schrieb diese Musik am Piano. Ich bin kein sanfter Typ, aber ich höre gern sanfte Musik. Ich könnte mich stundenlang vor einen Berg setzen, ihn beobachten und dann von seinen Veränderungen erzählen. Als ich die Musik schrieb, war ich nicht offen, sondern inspiriert. Allerdings reicht Inspiration nicht immer aus. Wenn einem nichts einfällt, braucht man Disziplin, um sich ans Piano zu setzen und trotzdem etwas zu schreiben. Vielleicht macht man am nächsten Tag etwas Besseres daraus. Man braucht dazu auch Selbstvertrauen, sonst hört man nicht auf, das Geschriebene immer wieder zu überarbeiten. Die Schreiberfahrung war nicht so schwer, aber wenn du ins Studio gehst, hast du keine Ahnung, in welche Richtung die Musik von Musikern wie Jan, Tomasz, Marcin und Slawomir getragen wird. Selbst wenn man Demos und Noten mitbringt, tragen sie die Noten in eine ganz andere Atmosphäre. Manfred Eicher und ich hatten klare Ideen, wie die Platte klingen sollte. Ich wußte genau, was ich nicht hören wollte.

Diese Musik scheint ja nicht zu irgendeiner Epoche oder Schule zu gehören.

Trotzdem ist sie nicht frei von Referenzen. Schon beim Schreiben schwebte mir Jan Garbarek vor. Aber ich hatte auch einen Trompeter im Ohr. Zwei wichtige Inspirationsquellen waren “Kind Of Blue” von Miles Davis und “Maiden Voyage” von Herbie Hancock. Wenn man diese Bezüge aber nicht in der Musik hören kann, dann habe ich meine Mission erfolgreich abgeschlossen.

Diese Band liegt ja nicht auf der Hand. Wie kam sie zusammen?

Manfred Eicher lud mich ein, mit ihm viele Platten durchzuhören, um uns gemeinsam Gedanken über mögliche Musiker für das Album zu machen. Ich sagte, ich will definitiv Jan Garbarek, denn wir haben in den letzten zehn Jahren insgesamt fünf Alben zusammen eingespielt und sind viel gemeinsam getourt. Ich kenne ihn und will ihn auf meiner Platte haben. Aber ich wollte auch einen Trompeter. Wir hörten viele Platten durch, konnten uns nicht sofort auf einen Trompeter einigen, und ich fuhr für eine Woche nach Paris zurück, um darüber nachzudenken. Schließlich entschied ich mich für Tomasz Stanko. Ich liebe seinen Sound. Über ihn kam ich auf den Bassisten und den Pianisten. Ich dachte, wenn wir drei Musiker bei der Session haben, die einander gut kennen, sparen wir viel Zeit. Dasselbe traf ja auf Jan und mich zu. Manfred fand diese Kombination sofort überzeugend, denn Tomasz und Jan hatten wiederum noch nie zusammengespielt. So hatten wir eine gewisse Spannung im Studio und brauchten trotzdem keine endlosen Wochen, um die Musik aufzunehmen. In ganzen drei Tagen war die Musik im Kasten. Zuerst hatte ich einen Klang im Kopf, der letztlich über die Musiker Ausschlag gab.

Du hast vier Musiker mit einer ausgeprägten eigenen Sprache. Wie hast du sie dazu gekriegt, deine und nicht ihre Musik zu spielen?

Meine Art Schlagzeug zu spielen führt alle vier in eine bestimmte Richtung. Außerdem hatte ich Demos dabei. Ich erinnere mich an eine Situation während der Session, als Tomasz zu mir kam und die Demos hören wollte. Ich fragte, warum er nicht einfach die Noten spielen wollte, doch er bestand darauf, die Demos zu hören, weil er dicht an meinen Ideen bleiben wollte und meine Stücke ganz anders fand, als das, was er normalerweise spielt. Marcin bot ich an, einige Piano-Parts neu zu arrangieren, denn er ist ja ein viel besserer Pianist als ich. Später fand ich, daß er nicht exakt den Punkt traf, auf den ich hinauswollte und diskutierte seine Arrangements mit ihm. Er war sehr offen und wollte sich so dicht wie möglich meinen Vorstellungen annähern.
 
Die Chemie dieser Band ist ja sehr interessant. Du hast zwei Ikonen des europäischen Jazz und zwei der wichtigsten Newcomer. Wie hast du daraus eine organische Band gemacht?

Der Titel des Albums ist “Neighbourhood”. Das ist ja nicht nur ein Titel, den ich mir mal eben ausgedacht hätte, sondern hat eine tiefere Bedeutung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Frankreich, Deutschland und viele andere europäische Länder von amerikanischen Jazzmusikern dominiert. Inzwischen hat die europäische Szene aber einen recht unverwechselbaren Sound erlangt, egal, ob die Musiker aus Polen, Norwegen, Frankreich, Deutschland, Serbien oder Mazedonien kommen. Wir sind alle Nachbarn. Der Grund dafür, daß unser Jazz so ähnlich klingt, liegt an unserer gemeinsamen Herkunft. Und das ist klassische Musik. Sicher bauen wir die Musik auf unterschiedliche Weise zusammen, aber der Ursprung ist doch überall die Klassik. Ich selbst war ein klassischer Perkussionist. Für die Amerikaner kommt Jazz aus der entgegengesetzten Richtung.

Live klingt die Musik völlig anders als auf dem Album “Neighbourhood”. Man hat fast den Eindruck, du würdest am Schlagzeug singen.
 
Das stimmt. Im Studio habe ich das Schlagzeug bewußt hinter der Band aufgebaut, weil ich mich auf meinem ersten Jazzalbum allein in den Dienst der Themen, die ich dafür geschrieben hatte, stellen wollte. Hätten die Drums im Vordergrund gestanden, hätte niemand auf der CD gehört, was ich mit den Kompositionen sagen wollte. Ich fand es viel spannender, mein eigenes Spiel etwas zurückzunehmen und mich stärker auf das Spiel von Saxophon und Trompete zu konzentrieren. Es stimmt schon, daß ich sehr laut spielen kann. Wenn ich will, kann ich den Sound einer ganzen Band mit meinem Schlagzeug dominieren. Aber ich finde es auf Platten schnell ermüdend, wenn das Schlagzeug ständig scheppert. Live ist das eine andere Sache. Da macht es mir einfach Spaß zu spielen. Wenn man ein Stück aufgreift, wie es ist, und dann an einen anderen Ort trägt, kommen ganz andere Emotionen zur Geltung. Wenn ich mein zweites Album aufnehme, wird das Schlagzeug wohl in der Musik einen zentraleren Platz einnehmen. Ich werde auf den Trommeln mehr malen, erzählen und singen.
 
Hast du visuelle Images im Sinn, wenn du Musik schreibst und spielst?
 
Ja, in erster Linie Farben. Viele Farben, die miteinander gemischt werden. Ich kann diese Farben nicht mit Worten beschreiben, aber ich brauche nur wenige Klänge, um unendlich viele Mischungen dieser Farben hervorzurufen. Vielleicht sind viele Töne von Lila und Rot dabei, einige Abstufungen von Hellbau und Hellgrün. Die besten Platten sind für mich jene, die mich auf eine Reise mitnehmen. Wie ein Buch, in dem ich über die unmittelbare Handlung hinaus alle Informationen über die Umgebung, die Stimmung und die Charaktere geliefert bekomme. In der Musik ist es nicht anders. Sie funktioniert nur, wenn sie deinen Intellekt, deinen Geist und deine Imagination mitreißt.

Wie hast du der Musik live Leben eingehaucht?
 
Anfangs wollte ich die Energie der Platte auch in den Live-Kontext übertragen. Aber inzwischen haben mich viele Menschen live erlebt und können das Album unter einem anderen Aspekt hören. Die Kommunikation mit den Musikern hat sich kaum verändert, denn alles kam ja von mir. Ich habe Entscheidungen getroffen. Es gibt seitens der Kritiker so viele Vorurteile gegen Drummer. Natürlich habe ich das Album nicht aus Rücksicht auf die Kritiker so gemacht, wie es ist, aber ich weiß natürlich, daß ein Drummer, der Stücke schreibt, immer anderes beäugt wird als ein schreibender Saxophonist. Nur weil man kein Melodieinstrument spielt. Aber ich mußte mich eben als Drummer zurücknehmen. Auf meinem zweiten Album kann ich etwas weitergehen.
 
Live hat Trygve Seim Jan Garbarek ersetzt. Wird er auch auf dem zweiten Album zu hören sein?
 
Ja.
 
Ich hatte den Eindruck, der Kontrast zwischen Tomasz Stankos und Trygve Seim war wesentlich markanter als der zwischen Tomasz und Jan.
 
Sicher besteht da ein Unterschied, obwohl man schon sagen muß, daß Trygve aus derselben Klangschule kommt wie Jan. Jan ist ohnehin einfach Jan. Trygve kommt aus einer anderen Generation, für die Jan Garbarek ein wichtiger Einfluß war. Aber Trygve ist seinen eigenen Weg gegangen. Er korrespondiert etwas organischer mit den anderen Musikern. Ich finde es stets interessant, mit Jan zu spielen, weil er meiner Musik so viele überraschende Seiten abgewinnt. Aber Trygve läßt sich etwas mehr auf meine Musik ein. Deshalb wird er auf dem nächsten Album spielen.
 
Wird die Band auf dem zweiten Album auch wieder Neighbourhood heißen?
 
Die Bedeutung des Begriffes Neighbourhood hat sich für mich nicht geändert, denn die Voraussetzungen sind ja die gleichen geblieben. Egal in welche Richtung es geht, bleibt es doch europäische Musik. Ich weiß noch nicht, wie das Album heißen wird, aber ich halte es durchaus für denkbar, daß die Band weiterhin den Namen Neighbourhood tragen wird.
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