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Kenny Barron – The Traveler

11.06.2008
Um eine Ahnung von der Klasse dieses Pianisten zu bekommen, muß man sich nur vor Augen führen, welche herausragenden Musiker er im Laufe seiner rund 50jährigen Karriere begleitete: die Liste reicht von Chet Baker über Freddie Hubbard, Joe Henderson, Abbey Lincoln, Helen Merrill, Chico Freeman, George Benson, Yusef Lateef, Lee Konitz, James Moody bis hin zu Dizzy Gillespie. Kenny Barron gehört, wie Hank Jones und der 2001 gestorbene Tommy Flanagan, zur Aristokratie der großen Jazzpianisten, die die Kunst der Begleitung mit Finesse und Distinktion auf höchstes Niveau geführt haben.
Aber Kenny Barron wäre nicht zu dem von der Kritik gefeierten und von den Kollegen hochverehrten Musiker geworden, der er heute ist, wenn er sich allein auf die Rolle des tadellosen Begleiters beschränkt hätte. Es gibt nur wenige andere Jazzpianisten, die stilistisch ähnlich vielseitig sind (oder waren) wie Kenny Barron. Er brilliert als orthodoxer Bebopper, beherrscht den modalen Jazz der Post-Coltrane-Ära aus dem Effeff, kann elegant swingen und – wie er einst im Duo mit dem Perkussionisten Mino Cinelu bewies – auch sehr modern, ja fast schon poppig spielen.
 
Wirklich ins Rampenlicht trat Kenny Barron erstmals mit dem Quartett Sphere, das er 1982 – unmittelbar nach dem Tod von Thelonious Monk – mit Tenorsaxophonist Charlie Rouse, Bassist Buster Williams und Schlagzeuger Ben Riley gründete. Die Band, eigentlich ins Leben gerufen, um das Andenken an Monk und dessen Musik zu pflegen, entwickelte schnell eine Eigendynamik und nahm bald auch selbst geschriebene Kompositionen und Jazzstandards in ihr Repertoire auf. Nach dem Tod von Rouse im Jahre 1988 wurde Sphere aufgelöst, um sich zehn Jahre später mit dem Altsaxophonisten Gary Bartz kurz neu zu formieren. Intensive musikalische Partnerschaften pflegte Barron außerdem mit Bassist Ron Carter, Vibraphonist Bobby Hutcherson und ganz besonders Stan Getz. Mit dem großen Tenorsaxophonisten spielte Kenny Barron von 1987 bis zu dessen Tod im Jahre 1991. Ihr Live-Duo-Album “People Time” gilt als eines der Meisterwerke des Jazz und war zugleich Getz' musikalisches Vermächtnis. Kenny Barron ebnete es schließlich den Weg zu allgemeiner Anerkennung. War der Pianist vorher eher ein “musicians' musician” gewesen, avancierte er nun zum Liebling der Kritiker und Jazzfans. Das unterstrichen nicht zuletzt die zahlreichen Down-Beat-Poll-Gewinne der folgenden Jahre.
 
Anfang der 90er Jahre erwarb Kenny Barron, der über Jahrzehnte hinweg als Katalysator für andere großartige Musiker/innen fungiert hatte, also endlich selbst den Ruf eines exzellenten Solisten. Seit 1993 nimmt er nun schon Alben unter eigenem Namen für Verve auf und überrascht die Jazzwelt dabei jedesmal mit neuen musikalischen Ansätzen. In seinen eigenen Ensembles förderte Barron außerdem oft junge, zuvor unbekannte Talente.
 
Auf rund einem Dutzend Verve-Alben zeigte er bisher schon all seine seltenen Qualitäten als Pianist, Leader, Komponist, Arrangeur und auch Begleiter. Nun legt er mit “The Traveler” ein neues Album vor, das vielleicht besser denn je Barrons paradoxe Mischung aus Understatement und Virtuosität vorführt.
 
Aufgenommen hat er das betont balladeske Album mit seinem derzeitigen Trio, bestehend aus dem japanischen Bassisten Kiyoshi Kitagawa und dem jungen kubanischen Schlagzeuger Francisco Mela, sowie einer Reihe von Gastmusikern. Statt sich für das Repertoire aus dem reichhaltigen Fundus der “Great American Songbook” zu bedienen, schrieb der Pianist den Großteil der Kompositionen selber. Die einzigen Ausnahmen sind Eubie Blakes Klassiker “Memories Of You” und “The First Year”, ein Stück des jungen Trompeters und Barron-Schülers Alex Nguyen. Als Gäste treten solistisch in Erscheinung: der Sopransaxophonist Steve Wilson (bekannt durch seine Zugehörigkeit zu Chick Coreas Gruppe Origin), Gitarrist Lionel Loueke, die beiden Sängerinnen Gretchen Parlato und Anne Hampton Callaway sowie Grady Tate. Der legendäre Soul-Jazz- und Hard-Bop-Schlagzeuger gibt hier in einer Bossa-Nummer mit dem brasilianischen Titel “Um beijo” (“A Kiss”) eine seltene Kostprobe seiner Talente als Crooner. Aufgelockert wird das vorwiegend balladeske Repertoire durch die flotte Bebop-Nummer “Speed Trap” und einen lebhaften “Calypso”.
 
Trotz seines scheinbaren Eklektizismus ist “The Traveler” vielleicht das persönlichste Album, das Kenny Barron bislang veröffentlicht hat. Der 65jährige zeigt sich fast durchweg von seiner poetischen Seite und läßt seine Virtuosität, die er längst niemandem mehr beweisen muß, nur gelegentlich aufblitzen.