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Tone Poet Serie: ein früher Klassiker des West Coast Jazz und ein metaphysisches Meisterwerk

In seiner audiophilen “Tone Poet”-Vinyl-Reihe präsentiert Blue Note diesmal Wayne Shorters “The All Seeing Eye” und “Lee Konitz Plays With The Gerry Mulligan Quartet”.
JazzEcho-Plattenteller: Lee Konitz "Lee Konitz Plays With The Gerry Mulligan Quartet" / Wayne Shorter "The All Seeing Eye" (Tone Poet Vinyl)
JazzEcho-Plattenteller: Lee Konitz "Lee Konitz Plays With The Gerry Mulligan Quartet" / Wayne Shorter "The All Seeing Eye" (Tone Poet Vinyl)
07.10.2021
Diese LPs und weitere Folgen aus der Tone Poet-Serie finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
Die Vinyl-Wiederveröffentlichungen der “Tone Poet”-Reihe präsentieren Klangpoeten, die ihren eigenen Weg gegangen sind, um einige wirklich originelle Sounds zu erzeugen. Inspiriert wurde Blue-Note-Präsident Don Was zu dieser Kollektion durch die außergewöhnlichen audiophilen Vinyl-Wiederveröffentlichungen, die Joe Harley seit Jahren bei dem von ihm mitgegründeten Label Music Matters herausbringt. Der Saxofonist Charles Lloyd verlieh ihm für sein außerordentliches Gespür für die Klangästhetik des LP-Formats den Ehrentitel “Tone Poet”, den Harley heute mit Stolz trägt. Die LPs der Reihe werden mit viel Liebe für Details gefertigt – angefangen bei der Tonqualität und dem Mastering über die hochwertige Pressung auf 180-Gramm-Vinyl bis hin zur Gestaltung der schweren, laminierten Gatefold-Sleeves und der Druckqualität.
Lee Konitz & Gerry Mulligan – Lee Konitz Plays With The Gerry Mulligan Quartet
Lee Konitz, Gerry Mulligan und Chet Baker… das sieht auf den ersten Blick natürlich nach einem Gipfeltreffen dreier Giganten des West Coast Jazz aus. Tatsächlich aber befanden sich die Protagonisten dieses Albums 1953 noch ziemlich am Anfang ihrer Karrieren. Einzig der 25-jährige Gerry Mulligan hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine Platte unter eigenem Namen veröffentlicht. Zwar hatte er bereits 1949/50 als Arrangeur und Baritonsaxofonist mit dem gleichaltrigen Altsaxofonisten Lee Konitz an der Einspielung von Miles Davis’ “Birth Of The Cool” mitgewirkt. Doch dieser Meilenstein des Cool Jazz sollte erst mit erheblicher Verzögerung 1957 erscheinen. So wie übrigens auch “Lee Konitz Plays With The Gerry Mulligan Quartet”. Der erst 23-jährige Trompeter Chet Baker war damals sogar noch so unbekannt, dass Produzent Richard Bock es nicht einmal für nötig hielt, seinen Namen auf das Cover zu setzen.
Die Aufnahmen für dieses frühe Meisterwerk des West Coast Jazz wurden je zur Hälfte bei Live-Auftritten in einem kleinen Hollywood-Club namens The Haig und in zwei Studios aufgezeichnet. Das pianolose Gerry Mulligan Quartet (hier komplettiert durch Carson Smith oder Joe Mondragon am Bass und Larry Bunker am Schlagzeug) wird oft als Band beschrieben, die den Sound des West Coast Jazz definiert hat. In Wirklichkeit war das Quartett für sich einzigartig. Es hatte zwar die luftige Melodik und leichtfüßige Agilität, die mit der ‘Cool-Schule’ der Westküste assoziiert wird, aber bei ihm ging es viel mehr um das komplexe Ensemblezusammenspiel als um ausgedehnte Soli. Lee Konitz erweitert als dritter Bläser nicht nur die Klangpalette der Band, sondern setzt sich auch glänzend mit prägnanten Soli in Szene.
Wayne Shorter – The All Seeing Eye
Viele seiner Qualitäten hatte Wayne Shorter bereits zwischen 1959 und 1964 als Mitglied und musikalischer Leiter von Art Blakey’s Jazz Messengers gezeigt. Doch so richtig blühte er erst im Quintett von Miles Davis auf, dem er sich Ende 1964 anschloss. “Blakeys kraftvoll treibende, geradlinige Rhythmen hatten die Muskeln in Shorters Tenorspiel zum Vorschein gebracht”, bemerkte Ian Carr im “Rough Guide To Jazz”, “aber die größere Freiheit der Davis-Rhythmusgruppe erlaubte es ihm, neue emotionale und technische Dimensionen zu erkunden.” Zur selben Zeit begann Shorter auch seine überaus fruchtbare Liaison mit Blue Note Records. In  den ersten anderthalb Jahren spielte er für das Label in einem geradezu frenetischen Rhythmus alle drei Monate ein neues Album ein. Den Auftakt machte er im April 1964 mit “Night Dreamer”. Dann folgten Schlag auf Schlag “JuJu”, “Speak No Evil”, “The Soothsayer”, “Etcetera” und schließlich im Oktober 1965 “The All Seeing Eye”.
Während “The Soothsayer” und “Etcetera” erst sehr viel später (nämlich 1979 bzw. 1980) veröffentlicht wurden, erschien das brillante und ambitioniert vielschichtige Album “The All Seeing Eye” bereits im Oktober 1966. Melodisch, harmonisch und konzeptionell unterschied sich dieses metaphysische Meisterwerk deutlich von dem nur vier Monate zuvor herausgekommenen Album “Speak No Evil”. Shorter verwendete nicht nur eine breitere Palette von Klangfarben und Texturen, sondern setzte sich in den Stücken von “The All Seeing Eye” thematisch mit dem Leben, dem Universum und Gott auseinander. Zu Freddie Hubbard (Trompete), Herbie Hancock (Klavier) und Ron Carter (Bass), die ihn schon auf “Speak No Evil” begleitet hatten, gesellten sich außerdem noch Posaunist Grachan Moncur III, Altsaxofonist James Spaulding und in einem Stück Waynes Bruder Alan Shorter am Flügelhorn. Am Schlagzeug saß diesmal zudem nicht Elvin Jones, sondern Joe Chambers.
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