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Doppeltes Vergnügen: Moderne Klassiker von Abbey Lincoln, Charlie Haden und Hank Jones auf Vinyl

Als diese Alben ursprünglich erschienen, befand sich Vinyl auf dem absteigenden Ast. Nachdem sich der Trend umgekehrt hat, kommen sie nun erstmals als LPs heraus.
JazzEcho-Plattenteller: Charlie Haden "Nocturne" / Abbey Lincoln feat. Stan Getz "You Gotta Pay The Band" / Hank Jones "Sarala"
JazzEcho-Plattenteller: Charlie Haden "Nocturne" / Abbey Lincoln feat. Stan Getz "You Gotta Pay The Band" / Hank Jones "Sarala"
24.08.2021
Diese LPs und weitere finden Sie in unserem JazzEcho-Store.   
2006 hatte der Vinyl-Absatz in Deutschland mit nur noch 300.00 verkauften Einheiten seinen absoluten Tiefpunkt erreicht. Die meisten Aufnahmen, die in den 1990ern und zu Beginn des neuen Millenniums erschienen, wurden deshalb schlichtweg nicht auf Vinyl veröffentlicht. Dazu gehörten auch sechs fantastische Aufnahmen, die unter der Ägide des Produzenten Jean-Philippe Allard bei der französischen Verve-Dependance herausgekommen waren. Nachdem sich Vinyl aber mittlerweile wieder wachsender Beliebtheit erfreut (2020 wurden in Deutschland 4,2 Millionen schwarze Scheiben verkauft), ist es jetzt höchste Zeit, diese modernen Klassiker endlich auch Vinyl-Aficionados zugänglich zu machen. Natürlich auf audiophilen 180-Gramm-Pressungen. Der erste Schwung besteht aus drei Doppelalben: “You Gotta Pay The Band” von Abbey Lincoln mit Stan Getz, “Nocturne” von Charlie Haden mit Gonzalo Rubalcaba und “Sarala” von Hank Jones mit Cheick Tidiane Seck & The Mandinkas. Die anderen drei Vinyl-Debüts folgen im September: “Lilac Wine” von der sinnlichen Jazzdiva Helen Merrill, “A Fable” von dem armenischen Klaviervirtuosen Tigran Hamasyan und “Tchamantché” von der malischen Sängerin Rokia Traoré.
Abbey Lincoln feat. Stan Getz – You Gotta Pay The Band
Über drei Jahrzehnte hinweg war die Karriere der charismatischen Sängerin und Songschreiberin Abbey Lincoln von großer Unregelmäßigkeit geprägt. Nachdem sie zwischen 1957 und 1961 ihre ersten fünf Soloalben veröffentlicht hatte, wandte sie sich der Schauspielerei zu und engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung. Im Zeitraum von 1962 und 1972 nahm sie gar kein eigenes Album auf und auch danach bis 1989 nur sporadisch. Das Blatt wendete sich erst, als sie Jean-Philippe Allard 1990 beim französischen Ableger von Verve Records unter Vertrag nahm und im Laufe von 17 Jahren zehn Alben mit ihr produzierte. “You Gotta Pay The Band” war 1991 das zweite dieser Alben und sowohl künstlerisch als auch kommerziell eines der erfolgreichsten. Es dokumentierte Abbeys einmalige Zusammenarbeit mit dem großen Tenorsaxofonisten Stan Getz.
Das Album entstand nur knapp drei Monate vor seinem Tod und sollte seine vorletzte Studioaufnahme sein (eine Woche später spielte er im Duo mit dem Pianisten Kenny Barron noch das Doppelalbum “People Time” ein). Zur Seite stand Abbey und Stan eine Rhythmusgruppe mit zwei weiteren Legenden, Pianist Hank Jones und Bassist Charlie Haden, und dem jungen Schlagzeuger Mark Johnson. Bei zwei Songs gesellte sich außerdem Maxine Roach, die Tochter von Abbeys Ex-Mann Max Roach, mit ihrer Bratsche zu dem Ensemble.
Charlie Haden – Nocturne
Für das Album “Nocturne” entwarf der Bassist Charlie Haden zusammen mit dem kubanischen Pianisten Gonzalo Rubalcaba eine Art Suite, die aus zwölf verschiedenen Episoden bestand. Fünf kubanische und vier mexikanische Boleros aus den 30er bis 50er Jahren wurden von ihnen durch drei eigene Kompositionen ergänzt. Leitgedanke bei dem Projekt war, die imaginativen Boleros in eine etwas zeitgenössischere musikalische Sprache zu übersetzen, ohne sie ihrer traditionellen Werte zu berauben.
Bei den Aufnahmen sekundierte Rubalcaba Haden nicht nur als Pianist und musikalischer Berater, sondern auch als Koproduzent und Arrangeur. Zu den Sessions brachte er zudem seinen Schlagzeuger Ignácio Berroa aus Kuba mit. Haden wiederum bat alte Freunde wie Pat Metheny und Joe Lovano ins Tonstudio, aber auch den jungen puerto-ricanischen Saxofonisten David Sánchez und den aus Uruguay stammenden Geiger Federico Britos Ruiz. “Üblicherweise hätte man nur Musiker ins Studio bestellt, die diese Musik in- und auswendig kennen – das heißt: Kubaner und andere Lateinamerikaner”, meinte Rubalcaba damals. “Aber ich fand es weitaus interessanter, auch ein paar Top-Musiker mitspielen zu lassen, die einen anderen Background haben und etwas Neues einbringen konnten… Die Kombination all dieser unterschiedlichen Elemente ergab eine sehr interessante Mischung, bei der sich alle Grenzen aufhoben.” Die Mischung war tatsächlich so interessant, dass “Nocturne” 2002 als bestes Latin-Jazz-Album mit einem Grammy ausgezeichnet wurde.
Hank Jones meets Cheick Tidiane Seck & The Mandinkas – Sarala
Hank Jones ging schon stramm auf die 80 Jahre zu, als er 1995 mit “Sarala” das zweifellos abenteuerlichste und ungewöhnlichste Album seiner gesamten Karriere aufnahm. Der Pianist hatte sich zuvor bei über tausend Einspielungen mit allen nur erdenklichen Größen des Jazz den Ruf erworben, der “ideale Begleiter” zu sein. Hier nun wagte er sich mit dem malischen Multinstrumentalisten, Songwriter und Arrangeur Cheick Tidiane Seck und dessen Band The Mandinkas auf gänzlich neues Terrain vor: die zeitgenössische Musik der westafrikanischen Mandinka oder auch Mandingo. “Hanks Annäherung an die Mandingo-Musik, die feine Verbindungen zum Blues und Jazz aufweist, war ebenso ernsthaft und bescheiden wie all seine anderen Unternehmungen”, schwärmte Cheick Tidiane Seck hinterher. "Er studierte diese Kultur monatelang, bevor er eine einzige Note spielte, und vertiefte sich vor allem in die modalen Aspekte der Musik. War es für ihn anfangs eine Rückkehr zu seinen Quellen, so integrierte Hank all seine Bemühungen bei dieser Aufnahme in völlig harmonischerWeise, und am Ende war es, als hätte er seine Wurzeln nie verlassen."
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