Zeitreise nach Seattle – unveröffentlichtes Horace-Silver-Konzert erschienen
Die Archivgeister von Blue Note Records haben es wieder geschafft: der bislang unbekannte Mitschnitt eines feurigen Horace-Silver-Konzertes von 1965 erblickt erstmals das Licht der Welt.
Horace Silver Live At The Penthouse(c) Blue Note Records
21.10.2025
In der sogenannten “33–1/3-Ära” war Pianist Horace Silver der Inbegriff des Blue-Note-Aufnahmekünstlers. Von seiner ersten Session als Bandleader im Jahr 1952 bis zur vorübergehenden Schließung des Labels im Jahr 1979 stand er für Originalität, Innovation und Beständigkeit – Eigenschaften, die auch zum Markenzeichen von Blue Note wurden. John Fordham bezeichnete den Pianisten im Guardian einmal als den “perfekten Musiker für Jazzmuffel” und schrieb: “Silvers Kompositionen und sein Klavierspiel […] waren gekennzeichnet durch R&B- und Gospel-beeinflusste Melodien, erdig-funkige Grooves und kraftvolle Soli, bei denen das Hauptthema nur selten aus dem Blickfeld geriet.”Nirgendwo kam dies besser zur Geltung als auf der Bühne, wo er das Publikum mit seiner launigen Art und seinen energiegeladenen, lebhaften Auftritten im Handumdrehen für sich einnahm.
Umso verwunderlicher ist es, dass Blue Note in all den Jahrzehnten, in denen Silver bei dem Label unter Vertrag stand, nur ein Live-Album von seinem Zugpferd herausbrachte: “Doin’ The Thing”, aufgenommen im Mai 1961 im Village Gate. Ein zweites, “Live at Newport ‘58”, erschien erst 2008. Jetzt fördert Blue Note mit “Silver In Seattle” einen bislang unveröffentlichten Konzertmitschnitt vom August 1965 zutage. Bei den Auftritten in dem Jazzclub The Penthouse in Seattle präsentierte sich der Pianist mit einer besonders dynamischen und innovativen Quintett-Formation. Mit von der Partie waren Joe Henderson am Tenorsaxofon, Teddy Smith am Bass sowie die beiden Shooting-Stars Woody Shaw (Trompete) und Roger Humphries (Schlagzeug), die damals gerade einmal 19 bzw. 20 Jahre alt waren. Der Mitschnitt wurde seinerzeit vom lokalen Radiosender KING-FM ausgestrahlt und wanderte anschließend in das Privatarchiv des Club-Besitzers, wo er kürzlich wiederentdeckt wurde.
Mit einer fast identischen Besetzung – anstelle von Woody Shaw war damals noch Carmell Jones der Trompeter des Quintetts – hatte Silver im Vorjahr einen Großteil des Studioalbums “Song For My Father” für Blue Note eingespielt, das als eines der absoluten Meisterwerke des Hard Bop gilt. Vom Repertoire dieses Albums stammen auch zwei der Nummern, die bei dem Auftritt in Seattle gespielt wurden: der mitreißende Opener “The Kicker”, der von Joe Henderson geschrieben wurde, und Silvers Klassiker “Song For My Father”. Mit “The Cape Verdean Blues” stellte der Pianist dem Publikum außerdem den Titelsong seines nächsten Albums vor, das er erst ein paar Monate später aufnehmen sollte.
Abgerundet wurde das Programm durch zwei weitere Stücke aus der Feder von Silver: eine über 18-minütige Version des “Sayonara Blues”, den der Pianist nach seiner ersten Japan-Tournee komponiert hatte, und “No Smokin’” vom Album “The Stylings of Silver” aus dem Jahr 1957. Vom ersten Moment an legt sich das Quintett mit Volldampf ins Zeug und bietet dem Publikum furiosen Hard Bop und feurigen Latin-Jazz, der nach allen Regeln der Kunst groovt. Kein Wunder, dass der Pianist das Quintett später stolz als eine seiner besten Bands überhaupt bezeichnete. Silver selbst glänzt mit überaus humorvollen und einfallsreichen Soli, die sogar die größten “Jazzmuffel” restlos begeistern dürften. Nur einen Monat nach dem grandiosen Auftritt des Horace Silver Quintet nahm John Coltrane in demselben Club übrigens sein Album “Live in Seattle” für Impulse! Records auf.
Sowohl die 180-Gramm-LP, die in einem Gatefold-Cover steckt, als auch die CD enthalten ein ausführliches Booklet mit seltenen Fotos von den bekannten Fotografen Francis Wolff, Burt Goldblatt und Jean-Pierre Leloir sowie einen Text des renommierten Jazz-Experten Bob Blumenthal. Darüber hinaus enthält das Booklet Interviews mit und Statements von dem Schlagzeuger Roger Humphries, den Silver-Band-Alumni Randy Brecker und Alvin Queen, dem Pianisten Sullivan Fortner und anderen.
1. The Kicker 13:03
(Joe Henderson)
2. Song For My Father 9:16
(Horace Silver)
3. The Cape Verdean Blues 6:23
(Horace Silver)
4. Sayonara Blues 18:25
(Horace Silver)
5. Band Introductions 0:20
6. No Smokin' 6:17
(Horace Silver)
Piano: Horace Silver
Trumpet: Woody Shaw
Tenor Saxophone: Joe Henderson
Bass: Teddy Smith
Drums: Roger Humphries
Recorded live at The Penthouse, Seattle, WA / 1965
Reissue produced by Zev Feldman / Mastering Engineer: Matt Lutthans