“So merkwürdig es auch scheint, Grant Green (1935–1979) ist gleichzeitig einer der am meisten und am wenigsten gefeierten Gitarristen der Jazzgeschichte”, schrieb der New Yorker Musikkritiker David R. Adler 2018 in einem Artikel für die JazzTimes und fügte hinzu: “Er war sicherlich einer der produktivsten.” Seine außergewöhnliche Produktivität ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Green nur von Ende 1960 bis 1973 Aufnahmen machte und zwischendurch wegen Drogenproblemen eine zweijährige Pause einlegen musste. Dokumentiert ist sein Schaffen fast durchweg auf Alben, die er unter seinem Namen oder als Sideman für Blue Note aufnahm.
Dabei war der Start bei Blue Note nicht ganz so verlaufen, wie sich der Produzent und Label-Chef Alfred Lion das vorgestellt hatte. Die ersten Aufnahmen, die Grant Green im November 1960 für Blue Note machte, wanderten gleich ins Archiv und wurden erst 2001 unter dem Titel “First Session” veröffentlicht – ein Schicksal, das rund ein Drittel der 29 Alben, die er für Blue Note machte, teilen sollten. Der aus St. Louis, Missouri, stammende Gitarrist, der erst kurz zuvor nach New York gezogen war, schien von der neuen Umgebung anfangs überwältigt und spielte mit angezogener Handbremse. Doch schon im Januar 1961 gab Alfred Lion Green eine zweite Chance, die dieser diesmal zu nutzen wusste. “Grant’s First Stand”, eingespielt im Trio mit dem Organisten Baby Face Willette und dem Schlagzeuger Ben Dixon, gilt noch heute als eines der besten reinen Soul-Jazz-Alben. Im selben Jahr nahm Grant Green noch fünf eigene Alben für Blue Note auf und wirkte als neuer Hausgitarrist des Labels auf neun weiteren Alben mit. Diese beachtliche Schlagzahl hielt er bis 1965 durch und arbeitete dabei mit Größen wie Lou Donaldson, Stanley Turrentine, Wynton Kelly, Sonny Clark, Hank Mobley, Jimmy Smith, Herbie Hancock, Bobby Hutcherson, Lee Morgan, Larry Young, Donald Byrd und vielen anderen zusammen.
Dann verließ Grant Green Blue Note und nahm für Verve Records das exzellente Soul-Jazz-Album “His Majesty King Funk” auf. Nicht lange danach verschwand er wegen Drogenproblemen für gut zwei Jahre fast vollständig von der Bildfläche. Erst 1970 meldete er sich mit einem neuen Album, das recht passend “Carryin' On” betitelt war, bei Blue Note zurück. Dem Trend der Zeit folgend spielte er nun mal soften, mal härteren Jazz-Funk und unternahm sogar Ausflüge in die Popmusik. Die Aufnahmen aus dieser Zeit wurden in den 1990er Jahren von Rare-Groove- und Acid-Jazz-DJs wiederentdeckt und machten Green zu einem der meistgesampelten Gitarristen des Jazz.
“Grant Green war ein Meister der rhythmischen Akzentuierung und Verschiebung”, schrieb Bob Blumenthal 1990 in den Liner Notes der Mosaic-Records-Box “The Complete Blue Note Recordings of Grant Green with Sonny Clark”. “Und das ist eine weitaus subtilere Virtuosität als enzyklopädisches harmonisches Wissen oder flinkfingrige Arpeggio-Läufe.”
Zehn der besten Alben von Grant Green wurden in der jüngeren Vergangenheit auf Vinyl wiederveröffenlicht. In der Blue Note Tone Poet Serie liegen die Alben “Nigeria”, “Born To Be Blue”, “The Latin Bit”, “Feelin’ The Spirit” (alle 1962 aufgenommen) und “I Want To Hold Your Hand” (1965) vor und in der Blue Note Classic Vinyl Serie die Alben “Grant’s First Stand”, “Green Street” (beide 1961), “Idle Moments” (1963), “Green Is Beautiful” (1970) und “Visions” (1971):