Ethan Iverson | News | Jazz-Surrealist mit Schalk im Nacken

Jazz-Surrealist mit Schalk im Nacken

Seit den Zeiten von The Bad Plus ist das Piano-Trio Ethan Iversons bevorzugtes Format. Für sein Blue-Note-Debüt “Every Note Is True” hat er ein neues mit Jack DeJohnette und Larry Grenadier gebildet.
Ethan Iverson - Every Note Is True (Blue Note Records)
Ethan Iverson - Every Note Is True (Blue Note Records)
10.02.2022
Dieses Album und weitere von Blue Note finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
Klassische Piano-Trios gibt es im modernen Jazz wie Sand am Meer. Um sich von der Masse der Konkurrenz abzuheben, muss sich ein Trio da schon etwas Besonderes einfallen lassen. So wie es zu Beginn des Millenniums Ethan Iverson, Reid Anderson und David King a.k.a. The Bad Plus taten. Nicht wenige bezeichneten die Formation, die 17 Jahre lang konstant in dieser Besetzung spielte,  als das “perfekte Jazztrio für das 21. Jahrhundert” (Cincinatti CityBeat, 2016). Warum? Weil es zum einen stets die musikalischen Traditionen des Jazz ehrte, während es gleichzeitig den progressiven Geist der sich verändernden Zeit mit offenen Armen begrüßte.  Das Trio spielte nicht nur Eigenkompositionen aller Bandmitglieder, sondern brachte in raffinierten Überarbeitungen von zeitgenössischen und klassischen Rock- und Pop-Hits deren verborgenes Potenzial zum Vorschein. Nun hat Pianist Ethan Iverson mit einem exzellenten neuen Trio sein erstes Album für Blue Note aufgenommen. Als Kompagnons gewann er dafür den Schlagzeuger JackDeJohnette, der über gut 30 Jahre hinweg in Keith Jarretts “Standards”-Trio glänzte, und den Bassisten Larry Grenadier, der nun schon fast ebenso lange ein integraler Bestandteil des Trios von Brad Mehldau ist. Auf “Every Note Is True”, so der Titel des Albums, können diese Musiker also eine geballte Ladung an hochkarätigen Trio-Erfahrungen einbringen.
Iverson versteht sich seit jeher als Vertreter der “Tradition des Jazz-Surrealismus” (seine eigenen Worte!) und nennt als große Vorbilder gerne Thelonious Monk und Charles Mingus. Darüber hinaus inspirierten ihn aber auch andere Klavier- und Keyboard-Größen: von Fats Waller, Bud Powell und Lennie Tristano über Keith Jarrett und Joe Zawinul bis hin zu Django Bates und Jason Moran. Auf “Every Note Is True” lässt er viele dieser Einflüsse durchschimmern. Manchmal klar und deutlich, dann eher auf subtile Weise. Als Blaupause für die Musik von “Every Note Is True” nennt Iverson allerdings das Album “Money Jungle”, das den Traditionalisten Duke Ellington 1962 bei einer ausgefallenen Studiosession mit den progressiven Musikern Charles Mingus und Max Roach zusammengeführt hatte. “Es ist großartig zu hören, wie Larry und Jack zur Sache gehen”, sagt Iverson. “Wenn du mit den beiden zusammenspielst, brauchst du nicht viel Material. Es reicht, wenn du ihnen etwas wirklich Simples vorlegst, nicht mehr als ein paar einfache Skizzen. Sie ergreifen von den Ideen Besitz und lassen sie großartig klingen. Das steht ganz in der Tradition der großen Blue-Note-Platten aus den 50er und 60er Jahren, wo die Melodien einprägsam sind, aber tatsächlich nicht allzu viel notiert war.”
Eröffnet wird das Album mit “The More It Changes”, einer launigen Chorgesang-Nummer, die wie eine augenzwinkernde Verbeugung vor Iversons britischem Kollegen und Freund Django Bates wirkt. “Ich albere gerne ein bisschen herum”, hat der Pianist einmal gesagt. Und “The More It Changes” ist dafür ein Paradebeispiel. Danach wird es musikalisch gesehen ernster, aber nie zu ernst. Das Repertoire besteht bis auf ein Stück – Jack DeJohnettes “Blue” von dem 1978 erschienenen ECM-Klassiker “Gateway 2” – ausschließlich aus Kompositionen von Iverson. Die Stücke changieren meist zwischen bluesiger und balladesker Stimmung. Einige haben das Flair von fantasievoller Filmmusik. Und gelegentlich blitzen auch Anklänge an klassische Musik auf oder sogar The Bad Plus. Obwohl Ethan Iverson immer noch der Schalk im Nacken sitzt (und manchmal in die Tasten greift), erweist er sich hier als deutlich gereifter Komponist.