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Ferenc Snétberger – Spontaneität ist Trumpf

Sein zweites ECM-Album “Titok” spielte der ungarische Gitarrist Ferenc Snétberger wagemutig mit Partnern ein, mit denen er erst kurz vor den Aufnahmen zusammentraf.
Ferenc Snétberger
Ferenc Snétberger© Raffay Zsófi / ECM Records
21.04.2017
“Wenn Snétberger geradlinigeren Jazz spielt, kann man den Einfluss von Jim Hall leicht heraushören”, meinte Greg Cahill in Acoustic Guitar, als er letztes Jahr das ECM-Debüt des Ungarn besprach, “und man könnte manchmal der Versuchung erliegen, ihn mit dem früheren ECM-Gitarristen Pat Metheny zu vergleichen, einem weiteren Hall-Gefolgsmann. Aber Snétbergers Beherrschung von Flamenco, Gypsy-Jazz und anderen Stilen, seine Fähigkeit, diese absolut nahtlos zusammenzufügen, und die trügerisch mühelose Art und Weise, in der er spielt, all dies macht deutlich, dass er ein singuläres Talent ist.” Nachdem er sein ECM-Debüt “In Concert” live und im Alleingang eingespielt hatte, ist der Gitarrist nun auf seinem zweiten Album für das Münchener Label im Trio mit dem schwedischen Bassisten Anders Jormin und dem US-amerikanischen Schlagzeuger Joey Baron zu erleben. Snétberger glänzt auf “Titok” sowohl mit solistischer Brillanz als auch im auf höchstem Niveau stattfindenden Zusammenspiel mit seinen Partnern. Dabei lässt das Trio der Musik die notwendige Zeit, um sich zu entfalten und natürlich zu atmen.
Die Kombination von Snétbergers akustischer Nylonsaiten-Gitarre mit Bass und Schlagzeug ist außergewöhnlich. Joey Baron schattiert und färbt die Musik auf ungemein subtile Weise mit Jazzbesen, Trommelstöcken und Händen. Und das blinde Verständnis zwischen Ferenc und Jormin ist sofort spürbar, wenn Gitarre und Bass zusammen die Konturen von Snétbergers Kompositionen ausloten. “Der Dialog zwischen der klassischen Gitarre und Anders' Bass scheint mir hier einzigartig zu sein”, merkt Ferenc an. “Anders hat eine besondere ‘Intonierung’, eine spezielle Art in meine Musik hineinzufinden. Und zusammen mit Joey bietet er mir eine Inspiration, die sich in meinem Spiel widerspiegelt.”
Es war Produzent Manfred Eicher, der Snétberger Jormin und Baron als Partner für dieses Projekt empfahl. Bei drei Konzerten in Ungarn spielte sich das Trio für die Aufnahmesessions in den Osloer Rainbow Studios warm, wo die Losung “Spontaneität” lauten sollte. Das Album wird von Musik gerahmt, die aus dem Moment heraus im Studio entstand: der Opener “Cou Cou”, die Titelnummer “Titok” und die letzten drei Stücke – “Clown”, “Rush” und “Inference” – sind improvisierte Entdeckungen. Das abtastende Spiel der ersten Nummer weicht dann der klar umrissenen Melodie von “Kék Kerék”, einer schönen älteren Komposition von Ferenc. “Rambling” ist das erste von einer Reihe von Stücken, die extra für dieses Trio geschrieben wurden. Der Gitarrist ließ hier Bass und Schlagzeug Freiräume für eigene Statements. Das zärtlich phrasierte “Fairytale” lädt Jormin ebenfalls dazu ein, mit Gegenmelodien zu antworten. Das Stück “Leolo”, das Ferenc seinem Enkel Leo widmete, beginnt mit einer kinderliedartigen melodischen Einfachheit und entwickelt sich dann zu einem Stück eleganter Kammermusik. Jormin nutzt die Gelegenheit, seinen Bass zeitweise mit dem Bogen zu spielen.
Ferenc Snétbergers absolut unverwechselbarer Gitarrenstil nahm durch die Aufnahme und Transformation vieler Einflüsse nach und nach Gestalt an.  Der 1957 in eine musikalische Familie hineingeborene Ferenc nahm ab seinem 13. Lebensjahr klassischen Gitarrenunterricht und studierte später in Budapest Jazzgitarre. 1988 siedelte er nach Berlin über, wo er schließlich anfing, das gesamte Spektrum seiner gitarristischen Interessen in Einklang zu bringen: von Django Reinhardt und Roma-Musik über brasilianische und andere lateinamerikanische Musik bis hin zum US-amerikanischen Jazz und der europäischen Klassik-Tradition (von Barock bis zu zeitgenössischen Kompositionen). Auf seinem aktuellen Album präsentiert Snétberger mit “Alom” ein altes Thema, das auf Roma-Musik verweist, während “Orange Tango” und “Renaissance” ihre Inspirationsquellen schon im Titel offenbaren. Dennoch klingt keines dieser Stücke “eklektisch”. Die verschiedenen Quellen sind organisch in Snétbergers Musik integriert und können über die Gitarre im Handumdrehen angezapft werden. Keine Frage: nach Elek Bacsik, Attila Zoller, Gábor Szabó und Attila László hat Ungarn in Ferenc Snétberger wieder einen vielseitigen Jazzgitarristen von Weltklasse hervorgebracht.