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ECM-Debüt – Sungjae Sons Near East Quartet aus dem Fernen Osten

Mit dem Saxophonisten Sungjae Son und seinem Near East Quartet stellt sich eines der aufregendsten Ensembles der südkoreanischen Musikszene bei ECM vor.
Near East Quartet - Suwuk Chung, Yulhee Kim, Soojin Sun, Sungjae Son
Near East Quartet - Suwuk Chung, Yulhee Kim, Soojin Sun, Sungjae SonAn Woong Chul / ECM Records
30.08.2018
Obwohl das Near East Quartet (NEQ) in der südkoreanischen Musikszene schon seit Jahren eine feste kreative Größe ist, hat man in Europa bislang nur wenig von ihm gehört. Das wird sich nun mit dem aufregenden Debütalbum für ECM und einem Auftritt beim London Jazz Festival im November sicher ändern. Gegründet wurde das NEQ 2009 von dem Saxophonisten, Bassklarinettisten und Komponisten Sungjae Son mit dem Gitarristen Suwuk Chung. Die Sängerin und Perkussionistin Yulhee Kim sowie die Schlagzeugerin Soojin Suh stießen 2015 zur Gruppe und halfen dem Ensemble, Sons ursprüngliche Vision von einer natürlichen Musik, die gleichermaßen durch Improvisation und die facettenreichen traditionelle Musik Koreas geprägt ist, umzusetzen. Auf seinem ECM-Debüt spielt das NEQ fünf Kompositionen von Sungjae Son und drei traditionelle koreanische Lieder. 
Die ungemein atmosphärische Musik mit ihren langsam aufblühenden Klangfarben ist geprägt von Suwuk Chungs oftmals verzerrten Gitarrenklängen (à la David Torn), Sungjae Sons filigranen Saxophonlinien und dem abstrakten Schlagzeugspiel von Soojin Suh. Yulhee Kims suggestive Stimme vermittelt Botschaften aus Pansori-Epen und Volksliedern. Kim trägt auch als Perkussionistin zum improvisatorischen Fluss bei. Bei einem Stück wurde das Quartett außerdem durch Sori Choi ergänzt, eine Perkussionistin, die traditionelle koreanische Trommeln spielt.
Sungjae Son und Suwuk Chung lernten sich während ihres Studiums in Boston kennen. Sungjae besuchte die Berklee School und Suwuk das New England Conservatory. “Wir redeten damals nicht wirklich miteinander”, erinnert sich Sungjae. “Ich war sehr auf Bebop fixiert und Suwuk interessierte sich mehr für Fusionsgitarre und einige Third-Stream-Ideen [einer von Suwuks Lehrern war George Russell]. Deshalb hatten wir weder gemeinsame Interessen noch einen gemeinsamen Background. Erst viele Jahre später, als wir wieder in Korea waren, ergab es sich, dass wir zusammen auftraten. Nach dem Konzert erzählte ich ihm von meinem Wunsch, Musik mit einem völlig neuen und anderen Ansatz zu machen, und das war der Beginn des Near East Quartet.”
Unterdessen begann Soojin Suh als die interessanteste junge Schlagzeugerin der Jazzszene von Seoul Aufmerksamkeit zu erregen. “Sie war eine sehr vielversprechende Musikerin und in Korea schon ziemlich bekannt”, erinnert sich Sungjae. “Alle wollten mit ihr spielen. Und dann ging auch sie in die USA, um dort zu studieren. Als sie zurückkehrte, hatte sie sich als Musikerin enorm entwickelt, und ich habe mich einfach in ihren Sound verliebt. Für mich ist sie die einzig wahre Schlagzeugerin in Korea.” Wegen der Art, wie sie einen Beat oft nur andeutet statt ihn auszuformulieren, vergleicht Suwuk Chung  Soojin Suhs Schlagzeugspiel mit dem von Paul Motian. Im Near East Quartet steht Suh vor besonderen Herausforderungen, wenn es darum geht, Aspekte der traditionellen koreanischen Musik zu paraphrasieren. Denn in der folgt die Perkussion anderen Grundregeln als der rasterförmigen metrischen Organisation der Taktarten des Jazz.
Soojin Suh spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit der Reduktion: “Ich versuche darüber nachzudenken, was ich nicht spielen werde, was ich in diesem oder jenem Teil der Musik auslassen muss. Ich höre die sehr gemächliche traditionelle koreanische Musik und die Art und Weise, wie ihre Interpreten sie spielen; ich finde die Art, wie die Musik atmet, sehr attraktiv.” Sie betont, dass der Aspekt, dem sie sich nähern wollte, der oft nur implizierte “tiefe Puls in der traditionellen koreanischen Musik” war.
Klang, Raum und Stille sind wichtige Faktoren im traditionellen koreanischen Rhythmusverständnis, stimmt Suwuk Chung zu, “und Vorwärtsbewegung hat mehr mit der Länge eines Atems zu tun als mit westlichen Vorstellungen des Takthaltens. Das ist eines der Elemente, die in unserer Gruppe Nachhall finden soll.” Dies gilt sowohl für die traditionelle Musik, die adaptiert wurde, als auch für Sungjaes wohldurchdachte Kompositionen, die manchmal von der aufgeladenen Leere der ostasiatischen Malerei inspiriert sind. Bevor er sich als Improvisationsmusiker profilierte, belegte Sungjae im Hauptfach Komposition und “studierte alles vom gregorianischen Gesang bis zu Schönberg. Ich habe viel Zeit mit Zwölftonmusik und serieller Musik verbracht. Aber ich hörte auch traditionelle koreanische Musik und Jazz. Mein Abschlusskonzert war Ornette Coleman gewidmet.”
Nach der Rückkehr aus den USA und seiner Bebop-Phase spielte Sungjae Son einige Jahre lang mit einem der Meister der koreanischen Perkussion zusammen: Kim Duk Soo vom SamulNori-Ensemble, das ECM-Hörer von dem Album “Then Comes The White Tiger” kennen, auf dem SamulNori mit der amerikanisch-österreichischen Gruppe Red Sun von Linda Sharrock, Wolfgang Puschnig und Jamaaladeen Tacuma zusammenarbeitete. 
“Kim Duk Soo ließ die Idee von Red Sun wiederaufleben. Zwei verschiedene Elemente nebeneinanderzu stellen – das kam mir nicht richtig vor, oder es war einfach nicht genug. In unserer Gruppe möchte ich mich auf das konzentrieren, was für uns natürlich ist.” Er betont die Bedeutung der Gestaltung einer ungezwungenen, organisch klingenden Musik.
Yulhee Kim “sang und tanzte, spielte Perkussion und machte so etwas wie koreanischen Schamanismus”, als Sungjae sie zum ersten Mal bei einer Performance erlebte. “Ich war zu diesem Zeitpunkt sehr an der schamanischen Ritualmusik interessiert und bat sie, der Band beizutreten.”
“Als wir Sungjaes neue Kompositionen einstudierten, mussten wir uns aus unserem gewohnten Umfeld herauswagen”, erzählt Suwuk Chung, “wir aus dem modernen Jazz und der Improvisation und Yulhee Kim aus der traditionellen koreanischen Musik. Wir haben versucht, einen gemeinsamen Raum zu finden. Das war eine Herausforderung. Normalerweise hört man keine weibliche Pansori-Stimme mit Rock-Gitarren-Sound und ohne Puls! Es war schwierig, diese Elemente unter einen Hut zu bringen. Soojin half, die verbindenden Fäden zwischen ihnen zu finden.”