Auch wenn der 1941 in Massachusetts geborene Jazzpianist und Komponist Chick Corea zu den wichtigsten Persönlichkeiten der US-amerikanischen Musikszene gehört, so liegen seine musikalischen Wurzeln primär in der europäischen Kunstform. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass seine beiden ersten Neuerscheinungen des Jahres 2012 – der umtriebige Künstler und Produzent wirft fast monatlich Tonträger auf den Markt – beim deutschen Klassiklabel Deutsche Grammophon erschienen sind.
Text: Christoph Spendel | Foto: John Rogers
Sein allerneuster Wurf ist das für sein neues Jazzquintett und ein 30-Mann-Kammerorchester komponiertes Concerto „The Continents“. Geprägt durch spanische Folkloreelemente und gepaart mit an Thelonious Monk und Béla Bartók erinnernden Dissonanzen präsentiert Chick Corea ein extravagantes kompositorisches Soundspektakel, das vom ersten Ton an seine über Jahre gesammelten musikalischen Erfahrungen widerspiegelt und seine unverkennbare persönliche Handschrift sowohl als Komponist wie auch als Pianist unter Beweis stellt.
Trotz eines hohen musikalischen Anspruchs bleibt das Werk stets erdverbunden und bietet in seiner hervorragenden Aufnahmequalität einen Hörgenuss sowohl für Corea-Fans wie auch für überzeugte Anhänger der so genannten Ernsten Musik. Sehr einfühlsame Soli des Meisters und seiner Mitmusiker lassen die Trennlinie zwischen Komposition und Improvisation verschmelzen. Gewagte orchestrale Blöcke und melodische Unisoni aller Beteiligten erblühen in friedlicher Koexistenz.
Da die Produktion des Werkes schneller absolviert wurde als geplant, nutzte Chick Corea die restliche bereits gebuchte Studiozeit, um mit seinem Quintett ein paar bekannte Standards (u.a. „Blue Bossa“ und „Just Friends“) einzuspielen, die erneut seine Einflüsse durch Thelonious Monk demonstrieren. Er selbst beglückt die Piano Solo Fans noch mit ein paar spontanen Improvisationen, die an seine Delphi Recitals erinnern. Zu erwähnen sei noch, dass der neue Bassist, Hans Glawischnik, Sohn des Grazer Musikprofessors und ehemaligen Leiters der NDR Big Band Dieter Glawischnik, nach Miroslav Vitous der zweite Europäer ist, der in einem Chick Corea Ensemble den Bassistenstuhl inne hat.
Nicolas Economou und Chick Corea – „On Two Pianos“
Der „Münchner Klaviersommer“ wartete stets mit Überraschungen auf. Einer seiner Leckerbissen ist nun endlich wieder auf CD erhältlich. Die 1982 aufgenommene Duo-Begegnung zwischen dem aus Zypern stammenden, 1993 leider bei einem Autounfall tödlich verunglückten Klassik-Pianisten Nicolas Economou und Chick Corea. Economou war selbst ein kompromissloser Grenzgänger, der sich stets in der Nähe von Gleichgesinnten wie Friedrich Gulda und Martha Argerich wohl fühlte. Freie Improvisationen waren in seinen Konzerten ein fester Programmpunkt. In seiner leidenschaftlichen Funktion als Impresario schuf er mit ein paar Sponsoren den Münchner Klaviersommer, in dessen Rahmen es zu dieser hochkarätigen Piano Duo Begegnung kam. Der Live Mitschnitt „On Two Pianos“ ist nicht nur eine klangliche Hommage an den ungarischen Komponisten Béla Bartók (1881 – 1945) sondern enthält auch ein paar Sätze aus seinem wohl bekanntesten Klavierwerk „Mikrokosmos“.
Beide Pianisten zeigen ihre Kommunikationsbereitschaft in dem Werk „Suite“, das trotz klassischer Kategorisierungen wie Prelude, Fuge, Toccata etc. in ein improvisatorisches Sammelsurium von spontan erfundenen Formen und Sound-Kaskaden mündet. Die beiden Corea-Kompositionen „Homecoming“ und „Duet for Two Pianos in Three Parts“ besiegeln mit ihren Formen das geniale Konzerterlebnis, das auf Grund seines gezielten Stereo Panoramas dem Hörer der CD den Live-Charakter der Darbietung abermals ermöglicht.
An dieser Stelle sei noch auf die hervorragende Einspielung von Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ hingewiesen, die Nicolas Economou 1991 für die Deutsche Grammophon produzierte.