Auf dem Doppelalbum “Figure In Blue” stellt Saxofonist Charles Lloyd sein neues Trio mit dem Pianisten Jason Moran und dem Gitarristen Marvin Sewell vor. Mal klingt es betörend lyrisch, mal zutiefst spirituell oder aufwühlend und elektrisierend.
Charles Lloyd Trio(c) Blue Note Records / Dorothy Darr
08.10.2025
Wenn man sich mit dem Saxofonisten und Flötisten Charles Lloyd unterhält, einem Titanen der Improvisation, der auch mit 87 Jahren noch auf der Bühne steht, dann kommt unweigerlich ein Thema zur Sprache: Dankbarkeit. Und er verteilt sie großzügig in mehrere Richtungen: an seine musikalischen Helden, seine geliebten musikalischen Weggefährten und die Geister, die ihn beflügeln und seinen Atem durch seine Instrumente leiten. Wenn Lloyd über sein künstlerisches Schaffen spricht, offenbart er eine Bescheidenheit, die angeboren zu sein scheint und vollkommen natürlich wirkt. Er betrachtet sich weniger als einzigartiger Virtuose – obwohl er zweifellos auch einer ist -, sondern vielmehr als wohlwollender Vermittler von spiritueller Erfahrungen, musikalischer Geschichte, Gemeinschaftssinn und Hoffnung.
Auf keiner seiner vielen Aufnahmen hat der Saxofonist dem so ergreifend Ausdruck verliehen wie auf seinem neuen Doppelalbum “Figure In Blue”. Mit seinen neuen Trio-Partnern – dem Pianisten Jason Moran und dem Gitarristen Marvin Sewell – nimmt Lloyd uns hier mit auf eine Reise durch ein weites musikalisches Terrain, das von wunderschönen Balladen und rauem Delta-Blues bis zu tief empfundenen Hommagen an Duke Ellington, Billie Holiday und Zakir Hussain reicht. Auch sein Choctaw-Erbe spiegelt sich in der spirituellen Musik dieses Albums wider, das neben einigen nie zuvor gehörten Eigenkompositionen und neu belebten älteren Werken Lloyds auch drei ausgewählte Jazzstandards bietet. “Figure In Blue” ist sicherlich eine der musikalisch beeindruckendsten und persönlichsten Aufnahmen in Lloyds umfangreichem Œuvre. Sein Ton ist nach wie vor gleichermaßen mächtig und ätherisch und entfaltet selbst in Momenten meditativer Ruhe eine verblüffende Intensität.
Charles Lloyd stellte das neue Trio bei einem Konzert anlässlich seines 87. Geburtstags im Lobero Theater in Santa Barbara vor und ging anschließend sofort mit ihm ins Studio. Mit beiden Musikern hatte der Saxofonist in der Vergangenheit schon mehrfach zusammengearbeitet, jedoch nie zur selben Zeit. Jason Moran ist seit fast zwei Jahrzehnten einer von Lloyds wichtigsten Spielpartnern. Dokumentiert ist dies auf einem halben Dutzend Aufnahmen, darunter das Duo-Album “Hagar’s Song” von 2012 und das im letzten Jahr erschienene Album “The Sky Will Still Be There Tomorrow”. “Wir brauchen nur sehr wenige Worte, um zum Kern der Sache kommen”, sagt Lloyd über ihre Zusammenarbeit.
Marvin Sewell war bisher nur auf der Bühne mit Lloyd zu erleben, zuletzt als Teil des “Ocean”-Trios mit Gerald Clayton. Obwohl der Gitarrist in den vergangenen 30 Jahren bereits auf Alben von Größen wie Cassandra Wilson, Jack DeJohnette, David Sanborn, Tom Harrell, Brian Blade, Lizz Wright und Jason Moran mitspielte, ist er immer noch viel zu wenig bekannt. Das könnte sich durch die Zusammenarbeit mit Lloyd endlich ändern, denn sie verschafft ihm die Gelegenheit, seine erstaunliche stilistische Bandbreite sowie seine Fähigkeiten auf der akustischen, der elektrischen und der Bottleneck-Gitarre zu demonstrieren. “Marvin hat eine authentische Stimme”, sagt Lloyd. Sewells bluesige Spielweise erinnere ihn an seine eigenen musikalischen Anfänge in Memphis. “Er ist zwar in Chicago aufgewachsen, hat aber familiäre Bindungen zum Mississippi-Delta. Er kennt die Irrungen und Wirrungen, die wir im Süden der USA erlebt haben, aus erster Hand. Das hört man in seinem Spiel.”
Mit unkonventionellen Trio-Besetzungen hat Charles Lloyd einige seiner eindrucksvollsten Alben aufgenommen. 2004 spielte er mit dem im vergangenen Dezember verstorbenen Tabla-Meister Zakir Hussain und dem Schlagzeuger Eric Harland das bahnbrechende Album “Sangam” für ECM ein. Auf den Alben der Trilogie “Trio Of Trios”, die vor drei Jahren sowohl separat als auch in einer Vinyl-Box veröffentlicht wurden, war Lloyd nacheinander mit Bill Frisell und Thomas Morgan (“Trio: Chapel”), Gerald Clayton und Anthony Wilson (“Trio: Ocean”) sowie Julian Lage und Zakir Hussain (“Trio: Sacred Thread”) zu hören. Mit “Figure In Blue” ist ihm nun ein weiteres Meisterwerk gelungen, das den vorgenannten Alben in nichts nachsteht.