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Bill Frisell & Thomas Morgan – Auf intimen Saitenpfaden

Mit drei Alben für ECM begründete Bill Frisell in den 1980ern seinen Ruf. Jetzt hat der Gitarrist – im Duo mit dem Bassisten Thomas Morgan – mit “Small Town” endlich wieder ein neues Album für das Label eingespielt.
Bill Frisell, Thomas Morgan
Bill Frisell, Thomas Morgan© John Rogers / ECM Records
31.05.2017
Bill Frisell liebt es seit jeher, im Duo zu spielen. Schon “In Line”, sein erstes Album unter eigenem Namen, nahm der Gitarrist 1983 für ECM mit dem norwegischen Bassisten Arild Andersen in diesem Format auf.
Später folgten u.a. noch Duo-Einspielungen mit Vokalisten (Elvis Costello und Petra Haden), Bassisten (Gary Peacock), Schlagzeugern (Jack DeJohnette), Pianisten (Fred Hirsch), Violinisten (Michael White) oder anderen Gitarristen (Jakob Bro, Vernon Reid, Jim Hall und Vinícius Cantuária). Und erst letzte Woche konnte ein Millionenpublikum in den USA Frisell im Duo mit der Singer/Songwriter-Ikone Paul Simon in der “Late Show with Stephen Colbert” erleben. Kein Wunder also, dass der Gitarrist dreißig Jahre nach seiner letzten eigenen ECM-Aufnahme (“Lookout For Hope”) seine Rückkehr zu dem Label mit einem neuen Duo-Album feiert. Auf “Small Town” präsentiert Frisell mit dem Bassisten Thomas Morgan ein Programm mit Duetten, die im März 2016 bei einem Auftritt im New Yorker Village Vanguard live mitgeschnitten wurden.
Frisell lernte den aus Kalifornien stammenden Thomas Morgan in den 1990ern durch Joey Baron kennen. Schon damals fand er ihn sehr beeindruckend, obwohl er, wie sich der Gitarrist erinnert, “im Grunde immer noch ein junger Bursche war. Später spielten wir bei einer von dem Schlagzeuger Kenny Wolleson organisierten Session zusammen. Mitten im Geschehen hörte ich auf einmal diese Bassnote, die mir unglaublich präsent und stimmig vorkam – und das, obwohl Thomas in dem großen Studio zwölf oder fünfzehn Meter von mir entfernt war. Das ließ mich aufhorchen. Und bei Paul Motians letzter Session spielten wir erneut miteinander. Es ist etwas Besonderes, dass wir beide diese Verbindung zu Paul und seiner Musik haben. Ich lud Thomas dazu ein, bei einigen meiner Bands mitzuspielen und zwischen uns entwickelte sich schnell eine enge Verbindung. Thomas kommt mir wie ein Zeitreisender vor. Ich habe das Gefühl, dass er der Musik immer voraus ist und schon einen klaren Plan hat, bevor er eine Note spielt. Niemals spielt er etwas, das nicht mit dem korrespondiert, was ich spiele. Er antizipiert mich im Moment. Seine Unterstützung gibt mir ein Gefühl der Schwerelosigkeit, so dass ich richtig abheben kann.”
“Thomas und ich sind uns auch darin ähnlich, dass wir beide ruhige Persönlichkeiten sind”, fährt Frisell fort. “Erst wenn ich Gitarre spiele, hört man meine wahre Stimme. Das ist bei Thomas gar nicht so anders, denke ich. Bass zu spielen ist seine natürliche Art sich auszudrücken. Charles Lloyd sagte mir einmal vor einem Auftritt: ‘Ich freue mich wirklich darauf, zusammen mit dir zu singen.’ Dasselbe denke ich, wenn ich mit Thomas spiele. Er spielt einen Song wirklich, ganz gleich ob es ein Stück von Fats Domino ist oder etwas Abstraktes – die Energie kommt immer aus derselbenen Quelle.”
“It Should’ve Happened a Long Time Ago”, der Opener von “Small Town”, erschien erstmals 1985 auf dem gleichnamigen ECM-Studioalbum von Paul Motian, Joe Lovano und Bill Frisell.  Als Frisell und Morgan das Stück im Vanguard spielten, “schien der Geist von Paul über uns zu schweben”, sagt der Gitarrist. “Pauls Musik hat eine gewisse gesangliche Qualität. Sie ist nicht wie Mathematik – sie ist fast schon singbar. Der Song ist trügerisch einfach, im Grunde besteht er nur aus der Melodie und einem Akkord; aber er beschwört diese Atmosphäre herauf, in der man sich wirklich umherbewegen kann. Er ist wie eine Struktur ohne Wände; er schränkt einen nicht ein. Das finde ich magisch und bewegend.”
Im Vanguard zollten Frisell und Morgan mit Konitz' “Subconcious Lee” und Frisells melodienreichem Original “Andrew Cyrille” auch zwei lebenden Jazzikonen Tribut. Mit Konitz hat der Gitarrist bei zahlreichen Gelegenheiten zusammengearbeitet (u.a. 1997 auf Kenny Wheelers ECM-Album “Angel Song”), und der Saxophonist saß sogar im Publikum, als Frisell und Morgan “Small Town” im Vanguard aufnahmen. Das Duo wählte den Bebop-Klassiker von 1949 ganz spontan als Hommage an Konitz. “Andrew Cyrille” präsentierte Frisell letztes Jahr erstmals in etwas anderer Form unter dem Titel “Song For Andrew” auf "The Declaration Of Musical Independence”, dem ECM-Solodebütalbum des Schlagzeugers, auf dem der Gitarrist auch selber mitspielte. “Andrew ist ein wahrer Altersweiser der Musik, dessen Spielerfahrungen bis zu Coleman Hawkins zurückreichen und über Cecil Taylor in die Gegenwart führen. Durch die Adern von Leuten wie Andrew und Lee fließt eine Menge Musik.”
Doch in gitarristischer Hinsicht knüpft Frisell auf “Small Town” an das Spiel von Maybelle Carter von der Carter Family an, die exemplarisch für die amerikanische Country-Musik der 1920er und 1930er Jahre war. “Maybelle Carter hat mich immens beeinflusst”, merkt Frisell an. "Tatsächlich hat sie, auch wenn das nicht allen bewusst ist, durch ihre Art, wie sie Melodie und Rhythmus simultan spielte, einen großen Einfluss auf die meisten nicht-klassischen Gitarristen ausgeübt." Mit der Folknummer “Wildwood Flower”, die durch das Ensemble bekannt gemacht wurde, erweist der Gitarrist der Carter Family auf “Small Town” seine Reverenz.
Eine ganz andere Art von klassischer amerikanischer Musik repräsentiert Fats DominosWhat A Party”, ein unkonventionelles Beispiel für die New Orleanser Variante des Rock’n'Roll. Auf Vorschlag des Bassisten spielten sie es im Vanguard auf eine pointillistische Weise. “Ich denke, dass einen das Stück über die Kunstfertigkeiten des Komponisten hinwegtäuscht”, sagt Morgan. “Man gewinnt den Eindruck, dass es eher per Zufall entdeckt als bewusst komponiert wurde. Die Basslinie am Anfang ist genial einfach und die Melodie geradezu singbar. Es scheint sich eigentlich nicht für eine instrumentale Interpretation anzubieten, aber Bill ist der perfekte Mann für so etwas. Sein Sound ist so ausdrucksvoll wie eine Stimme, und er verflechtet die rhythmischen und vokalen Teile so, dass man irgendwie mehr hört als gespielt wird.”
Mit “Poet – Pearl” steuerte Thomas Morgan auch ein Stück zum Repertoire bei, das Frisell noch mit einer Intro ausgestattet hat. “Es war eine meiner ersten Kompositionen”, verrät der Bassist. “Die Melodie für ‘Pearl’ entwarf ich bei einer U-Bahn-Fahrt während meines ersten Jahres an der Manhattan School of Music.” Abgerundet wird das Programm des Albums mit dem Titelsong de Bond-Films “Goldfinger”. “Die Atmosphäre dieses Songs führt mich zurück in die frühen 1960er, als ich meine Leidenschaft für das Gitarrespielen entdeckte und Autofahren lernte”, erinnert sich Frisell. “Mit meinem Date fuhr ich damals nach Denver hinein, um im Kino einen James-Bond-Film zu sehen. Die Musik selbst ist so cool, weil in der Melodie und in den Harmonien so viel passiert. Weil das Stück so populär wurde, kann man leicht einige der muikalischen Dinge übersehen, die unter der Oberfläche vor sich gehen – sie wirken fast schon unterschwellig.”