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Avishai Cohen & Big Vicious – auf stilistischen Abwegen

Für die Karriere des Trompeters Avishai Cohen könnte das Album “Big Vicious” eine so einschneidende Bedeutung haben, wie “Khmer” 1997 für Nils Petter Molvær hatte.
Aviv Cohen, Uzi Ramirez, Avishai Cohen, Yonatan Albalak, Ziv Ravitz
Aviv Cohen, Uzi Ramirez, Avishai Cohen, Yonatan Albalak, Ziv RavitzBen Palhov / ECM Records
26.03.2020
Seine mitreißende Band Big Vicious gründete der charismatische Trompeter Avishai Cohen vor sechs Jahren, nachdem er aus den USA in seine Heimat Israel zurückgekehrt war. Um eine von Grund auf neue Musik zu gestalten, versammelte er alte Freunde um sich, mit denen er auch gemeinsam das Material für die Band verfasst. Anfangs setzte sich Big Vicious nur aus Avishai Cohen, dem Gitarristen Uzi Ramirez, dem Gitarristen und Bassisten Yonatan Albalak sowie dem Schlagzeuger Aviv Cohen zusammen. 2018 gesellte sich als zweiter Drummer noch Ziv Ravitz hinzu. “This Time It’s Different”, der Titel eines der neuen Stücke, könnte auch das Motto für dieses Projekts sein. Denn so wie auf diesem Album hat man Avishai Cohen bisher noch nicht erlebt.
“Wir kommen alle vom Jazz her, aber ein paar von uns kehrten ihm vor einiger Zeit den Rücken”, fasst Avishai die stilistische Bandbreite seiner Mitstreiter zusammen. “Jeder bringt seinen Background ein und der wird Teil des Klangs der Band.” Zur Mischung von Big Vicious gehören Elemente von Electronica, Ambient-Musik und Psychedelia, aber auch Grooves und Beats aus Rock, Pop, Trip-Hop und mehr. “Durch die Kombination von allem ist dies eine magische Band”, meint Ziv Ravitz. “Sie ist etwas ganz Besonderes, da man erwarten könnte, dass sie explodiert, mit totaler Dramatik. Aber die Musik hat Tiefe und ist sehr melodisch.”
An den Stücken für das Album feilte die Band im Studio des Tel Aviver Musikerkollegen und Produzenten Yuvi Havkin (auch bekannt als Rejoicer), der an drei Stücken des Debütalbums von Big Vicious mitgewirkt hat. Diese gemeinsame kreative Herangehensweise war ein Novum für Avishai Cohen, der nie zuvor zusammen mit anderen Musikern komponiert hatte. “Es hat einen gewaltigen Unterschied gemacht, dass alle in den Kompositionsprozess involviert waren.  Es gab eine Menge Diskussionen darüber, was wir von der Musik erwarteten und wie sie klingen sollte. Rejoicer war auch in den Prozess einbezogen, als alle ihre Ideen einbrachten. Die indische Tonleiter, die ‘Fractals’ zugrunde liegt, war seine Idee, und auch ‘Teno Neno’ geht auf eine Anmerkung von ihm zurück. Er war einfach die ganze Zeit, in der wir die Stücke schrieben, mit uns zusammen.”
Integraler Bestandteil der Vision des Ensembles war auch ein weit offener Ansatz bei Coverversionen. “Wir haben anfangs eine Menge Coverversionen gespielt”, sagt Avishai Cohen. “Vor allem Musik aus den 1990er Jahren, weil die bei unserer Generation Resonanz findet. Das sind Dinge, die die wir in unserer Schulzeit gehört haben. Und ‘Teardrop’ von Massive Attack ist eine Nummer, an der wir uns nie satthören werden. Es ist ein Stück, das man endlos spielen kann – jedes seiner Elemente ist dermaßen vollendet und gleichzeitig so schlicht.” In der Version von Big Vicious übernimmt Avishai mit seiner Trompete natürlich die Rolle von Liz Fasers ätherischer Stimme im Original. Dies ist ein Teil der stilistischen Identität der Band, der von ihr aber auch in den eigenen Stücken ausgelotet wird. “In dieser Band geht es nicht wirklich darum, Soli zu spielen”, fährt der Trompeter fort. “Das ist hier nicht das Ziel oder die angestrebte Ästhetik. Es geht stattdessen darum, wie man einen Song gestaltet, auch wenn niemand singt. Das ist in meinen Augen der Unterschied zu meinen anderen Arbeiten.”
Der Arbeit im Studio ging eine intensive Auswertung von Live-Aufnahmen voraus. “In Jazzbands macht man so etwas eigentlich kaum”, sagt Ziv Ravitz. “Man gibt ein Konzert, und was dabei auch immer geschehen ist, ist geschehen. Aber wir setzen uns im Tourbus zusammen und hörten uns jedes Konzert mehrmals an. Und sagten uns dabei: ‘Lasst uns diesen Part optimieren, lasst uns dies noch einmal betrachten…’” “Es war, als würde man jeden Abend Fußballspiele analysieren”, ergänzt Avishai. “Es war großartig. Wir feilten an der Musik, betrachteten die Stücke durch die Lupe, fanden kleine Details, die es zu verbessern galt.”
Während all dies, wie Ziv Ravitz meint, “eher eine Pop-Mentalität” widerspiegelt, so war die Aufnahme mit Produzent Manfred Eicher in den Studios La Buissonne in Südfrankreich von einem typisch improvisatorischen Ansatz geprägt. “Wir mögen zuvor monatelang an der Musik gearbeitet haben”, sagt Avishai, “aber die Atmosphäre des Albums gibt unsere Stimmung an diesen drei Aufnahmetagen wieder. Deshalb klingt diese Musik immer noch wie Jazz.”
“Manfreds Beteiligung hat vieles verändert”, meint Jonathan Albalak. “Wenn er etwas sagte, konnte das Auswirkungen auf das Wesen eines Stückes haben, das wir schon zwei Jahre lang gespielt hatten. Er zeigte uns, wie wir einem Stück neue Seiten abgewinnen konnten.”
“Unser Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit”, sagt Avishai Cohen. “Manfredvertraut mir, dass ich mit den richtigen Projekten ankomme, und ich vertraue darauf, dass er mit uns bei dem Konzept auf gleicher Wellenlänge liegt. Die einzige Frage ist: Was bringt die Musik zum Klingen?”
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