Tord Gustavsen | News | Ein Interview von Steve Lake mit Tord Gustavsen – Teil 2

Ein Interview von Steve Lake mit Tord Gustavsen – Teil 2

Tord Gustavsen © Werner Anderson / ECM Records
Tord Gustavsen © Werner Anderson / ECM Records© Werner Anderson / ECM Records
03.03.2010
SL: Lass uns die einzelnen Songs des Albums betrachten. Vielleicht kannst du uns ein wenig über jedes Stück erzählen und mit “The Child Within” beginnen.

TG: Ein Schlaflied, das ich für unser erstes Duo-Konzert im Jahr 2007 komponierte, wobei ich speziell Tore Brunborgs Sound im Kopf hatte. Das Album beginnt mit einem Stück von fragiler Schönheit, das den Boden für das, was wir noch vorhaben, bereitet. Es ist aber zugleich auch ein Stück, das mühelos auf eigenen Füßen steht.

“Way In”

TG: Ein improvisiertes Stück, bei dem auf ein Piano-Solo Duo-Interaktionen zwischen Piano und Schlagzeug folgen. Der Beginn bietet viel Freiraum und kurze Motive führen zu einem kleinen Höhepunkt, wodurch bereits mehr Dynamik und Kontrast entsteht als man gewöhnlich von uns kennt… Dann gesellt sich Mats Eilertsens Bass mit vollem und warmem Klang dazu, stellt sich selbst in einem unbegleiteten Soloteil vor, der eine Antwort auf die vorangegangene Improvisation ist.

“Lay Your Sleeping Head, My Love”

TG: Ein profaner Gospel-Song mit viel Raum und einem verhaltenen Groove. Kristins Stimme betritt die Szene mit einer warmen und emotionalen Tiefe, die mich jedes Mal wieder gefangen nimmt und bewegt.

“Spiral Song”

TG: Ein schlafliedähnliches Thema, gespielt über einen Groove, der Jarle Vespestads unglaubliches Einfühlungsvermögen zeigt. Das Stück ist auch ein erstklassiges Beispiel für Tore Brunborgs warme Tenorsax-Phrasierung, die das Potential der Melodie voll zur Geltung bringt. In seiner sehr geschmackvollen und kurzen Improvisation kommentiert und erweitert er danach die Melodie.

“Restored, Returned”

TG: Ein zweigeteiltes Stück, zunächst mit einer Rubato-Eröffnung und dann mit einem hymnenähnlichen Chorus. Ich mag es, einen Chorus auf dieses Weise zu wiederholen. Das Stück handelt von jemandem, der zurückkehrt in die Wärme der Gemeinschaft und – wie es in dem verwendeten Gedicht heißt – ins “Lobesfeuer”, aber verändert und bereichert durch die Erfahrungen, die er in den unbekannten Ländern, die er besuchte, gemacht hat. Das Leben verläuft nicht so sehr in linearen Bahnen, sondern eher in Spiralen und hermeneutischen Zirkeln. Die Rückkehr zur Gospelform ist für mich damit vergleichbar, sowohl in musikalischer als auch spiritueller Hinsicht. Die Gospelmusik ist eine konstante Wärme- und Energiequelle, wenn man sich ihr aus neuen Winkeln nähert.
“Left Over Lullaby No. 2”

TG: Ein Schlaflied mit einer gesummten Melodie von tonaler Mehrdeutigkeit. Hier ist jeder involviert, trägt seinen Teil zur Melodie bei und färbt sie auf seine ganz eigene Weise.

“The Swirl” / “Wrapped In A Yielding Air”

TG: Eine Zeile, die das norwegische “slått”-Feeling widerspiegelt – Tanzformen in unserer Volksmusik. Mats’ Bassspiel ist subtil funky, in einer wirklich erhebenden Weise. Der Mittelteil, der keine feste Melodie hat, stellt ein weiteres Auden-Gedicht vor, das von Kristin eindringlich rezitiert wird.

“Left Over Lullaby No. 1” / “O Stand, Stand At The Window”
TG: Eine Mini-Suite, die ein Schlaflied  mit irgendwie dynamischeren Umrissen und einen Song zu einem weiteren Auden-Gedicht enthält, das diesmal im Duo von Stimme und Piano dargeboten wird. Dieses Schlaflied war der Ausgangspunkt und die erste Komposition für die Auftragsarbeit des Vossajazz-Festivals, aus der sich das Repertoire dieses Albums entwickelte. Das Thema wird in einem breiten und sich entwickelnden Unisono vorgestellt, wobei jeder das Thema mehrere Male in unterschiedlichen Oktaven spielt. Ich liebe die Art, wie Kristin mit diesen hohen Tonlagen einsteigt, die sich am Rande des Wegbrechens befinden, von ihr aber immer noch sehr zärtlich und wundervoll gesungen werden.

“Your Crooked Heart”

TG: Eine frei interpretierte Instrumentalversion des Songs der vorangegangenen Suite. Und es ist das einzige Stück in der klassischen Trio-Besetzung mit Piano, Bass und Schlagzeug. Ein ständiger Puls, der nach und nach in ein freies Rubato übergeht. Ich selbst gönne mir in der Improvisation mehr Auslauf als bei den anderen Nummern. Ich liebe es, dies zu tun, wenn es opportun zu sein scheint – und ich hasse es genauso sehr, wenn man es in unpassenden Momenten tut. Sich an die Melodie halten und der Musik als einem sich entfaltenden und integrierten Ganzen zu dienen, bleibt eine meiner Prioritäten.

“The Gaze”

TG: Das ist für mich ein grundlegendes Thema in unserer Melodienkollektion; ein wiegendes Schlaflied mit beiläufigen funkigen Unterströmungen; eine expressive Improvisation, bei der wir das Grundgefühl und die Atmosphäre des Themas nie aus den Augen verlieren; eine Menge Call-and-Response-Zusammenspiel anstelle von egozentrierten Soli; offene Tonalität, die sich häufig simpler Bodenständigkeit nähert. Ich mag Jarle und Mats als funky Rhythmustandem – die Art, wie sie kreatives Zusammenspiel und beständiges Grooven miteinander kombinieren ohne irgendetwas zu forcieren. Und ich liebe Tores organische Version von selbstloser Virtuosität beim Musizieren.

“Left Over Lullaby No. 3”

TG: Ein Interludium, das wir zu einem eigenständigen, liebenswerten, kleinen Stück machten, als wir merkten, dass das kurze Thema und die verdichtete Akkordfolge etwas Substantielles vermittelte. Das Stück habe ich bei Konzerten als Zugabe solo gespielt. Aber hier interpretiere ich es im Duo; Kristin fügte wortlosen Gesang und eine wunderschöne Miniaturimprovisation hinzu. So schließt sich der Kreis des Albums mit den rauen, aber besänftigenden Klängen eines Schlaflieds, das die Hörer hoffentlich im Kopf behalten werden.

SL: Das Ensemble wird in den kommenden Monaten viele Live-Auftritte absolvieren, u. a. eine ausgedehntere Tournee durch Großbritannien unternehmen, bei Festivals in Deutschland spielen und eine Reihe von Konzerten in Norwegen geben. Bei der britischen Tour wirst du dich im Quartett mit Tore Brunborg, Mat Eilertsen und Jarle Vespestad präsentieren, während du in Norwegen mit dem Quintett inklusive Kristin auftrittst. Welche Konstellation können wir im kommenden Jahr erwarten?

TG: Das Ensemble funktioniert in verschiedenen Duo-, Trio-, Quartett- und Quintett-Besetzungen – das ist eine der großartigen Eigenschaften dieser neuen Formation; sie besteht zwar aus einer festen Gruppe von Musikern, die die Musik gut kennen und über geraume Zeit zusammengespielt haben, ist aber immer noch flexibel. Anstehende Projekte sind u. a. im April 2010 eine ausgedehnte Deutschland-Tournee mit dem Instrumentalquartett, eine Tour durch Portugal im Februar 2010 ebenfalls mit dem Quartett, eine US-Tournee im März 2010 mit dem Quintett und eine Sextett-Tournee durch Norwegen im Februar und März 2010. Dann wird auch die Spoken-Words-Künstlerin Cecilie Jørstad mit von der Partie sein.

Lesen Sie auch Teil 1 des Gesprächs zwischen Steve Lake und Tord Gustavsen. Besuchen Sie die Künstlerseite von Tord Gustavsen auf JazzEcho.
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