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Ralph Alessi – alles andere als nur imaginäre Freunde

Auf seinem dritten ECM-Album “Imaginary Friends” ist der Trompeter Ralph Alessi mit einem seit vielen Jahren eingespielten Quintett alter Freunde zu hören.
Ravi Coltrane, Ralph Alessi, Mark Ferber, Andy Milne, Drew Gress
Ravi Coltrane, Ralph Alessi, Mark Ferber, Andy Milne, Drew GressCaterina di Perri / ECM Records
31.01.2019
Für seine ersten beiden ECM-Alben als Leader – “Baida” (2013) und “Quiver” (2016) – erntete der Trompeter Ralph Alessi zurecht großes Lob. Die New York Times pries “die elegante Präzision und Kraft” von “Baida”, während der Guardian in seiner Besprechung von “Quiver” Alessis “makellose Technik und seine Fähigkeit, an die Tradition des Jazz anzuknüpfen und zugleich ihre Klischees zu vermeiden” hervorhob. Nach diesen beiden Quartett-Alben präsentiert sich Alessi nun auf “Imaginary Friends” mit einem seit vielen Jahren eingespielten Quintett, und zwar in dessen erster Aufnahme seit 2010. Unter den Mitspielern befindet sich mit dem Saxophonisten Ravi Coltrane ein Seelenverwandter Alessis, der seit ihrem gemeinsamen Studium am California Institute of the Arts in den späten 80er Jahren ein konstanter Studio- und Bühnenpartner des Trompeters ist. Komplettiert wird das Ensemble durch Pianist Andy Milne, Schlagzeuger Mark Ferber und den Bassisten Drew Gress, der bereits auf “Baida” und “Quiver” zu hören war. Ein unwiderstehliches Highlight unter den neun Eigenkompositionen, die Alessi auf “Imaginary Friends” präsentiert, ist der Opener “Iram Issela”, der mit seiner bittersüßen Melodie und Ravi Coltranes einzigartigem Solospiel die Bühne für ein Album von quecksilbriger Schönheit bereitet.
Nachdem Alessi sein erstes ECM-Album in den New Yorker Avatar Studios und sein zweites im Osloer Rainbow Studio eingespielt hatte, zog er sich für die Aufnahmen von “Imaginary Friends” mit seinem Quintett in das Studio La Buissonne in Pernes-les-Fontaines zurück (wo der Trompeter zuvor bereits den Pianisten Florian Weber bei der Einspielung seines ECM-Solodebüts “Lucent Waters” begleitet hatte). Bevor Alessi und seine Begleiter sich mit Manfred Eicher im Studio trafen, gaben sie ein Dutzend Konzerte in ganz Europa, bei denen sie die Kompositionen des Trompeters entwickelten. “Wir hatten die Musik live auf Herz und Nieren geprüft und waren heiß, als wir mit Manfred zusammentrafen. Wir hatten Vertrauen in das Material, waren entspannt, aber konzentriert – die Stimmung war großartig.” 
Die Zusammenarbeit mit Eicher, so sagt Alessi, hat seine Art des Musizierens unweigerlich beeinflusst: “Der Klang der Aufnahmen und die generelle ästhetische Vision haben eine bestimmte Seite von mir inspiriert. Manfred ermutigt dich, den Raum in der Musik zu respektieren, und dieser Ansatz findet bei mir Anklang und ist auch für die Band reizvoll. Wir drosseln das Tempo ein wenig und nutzen den Raum innerhalb der Musik optimal, widersetzen uns dem natürlichen Drang, jede Lücke mit Noten zu füllen. Es ist nicht einfach, das zu tun – es erfordert eine gewisse Disziplin.” 
Alessis Quintett besteht im Grunde schon seit anderthalb Jahrzehnten und tritt gelegentlich unter dem Namen This Against That auf. Mit der aktuellen Besetzung hat der Trompeter schon zwei Alben eingespielt und zahlreiche Tourneen unternommen. Eine besonders starke Beziehung hat Alessi zu Ravi Coltrane, mit dem er seit gemeinsamen Studienzeiten befreundet ist. “Es war toll, Ravi als Musiker reifen zu sehen”, sagt Alessi. “Er hat einen so schönen Klang und eine markante Stimme auf seinen Instrumenten – was gerade auf dem Tenorsaxophon keine leichte Sache ist. In den letzten paar Jahren hat er eine neue Tiefe erlangt und klingt auf diesem neuen Album großartig, so gefestigt und frei in der Art und Weise, wie er sich am Horn ausdrückt. Mit seinem bewegernden Solo in ‘Iram Issela’ hat mich Ravi zu Tränen gerührt. Seine geduldige, ruhige Spielweise ist ebenfalls inspirierend, und sein Sinn für Phrasierung und rhythmisches Vokabular bringt etwas in mir hervor, was mir wirklich gefällt. Einer der großartigsten Momente im Studio war, als wir gemeinsam im Titelstück des Albums solo spielten.”
Mit Pianist Andy Milne spielte Alessi Mitte der 90er Jahre in der Band des Saxophonisten Steve Coleman zusammen. “Andy ist so ein dynamischer Pianist”, sagt der Trompeter. “Damals, als wir mit Steves Band diese sehr rhythmische Musik spielten, konnte er nur an der Oberfläche von dem kratzen, was er wirklich draufhat. Wenn er ein Solo – wie zum Beispiel in ‘Iram Issela’ und ‘Melee’ spielt, gelingt es ihm auch, ein sehr meditatives Gefühl zu erzeugen. Er versteht es, sich zu konzentrieren und für eine Idee Zeit zu nehmen, und das ist etwas, was mir bei einem Musiker immer gefällt. Am Ende der Aufnahme haben wir ein kurzes Duett aufgenommen, bei dem wir die Melodie einfach rubato artig durchspielen. Er kann natürlich auch grooviger sein, so wie in ‘Fun Room’. Mit einem präparierten Klavier erweitert Andy auf dem Album auch subtil den Klang in einem Stück wie ‘Pittance’.” 
Mark Ferber eröffnet den Reigen in “Fun Room” mit einem rollenden, sehr musikalischen Schlagzeugsolo, während Drew Gress “Imaginary Friends” mit einem nachdenklichen gestrichenen Bass-Solo zusätzliche Farbe verleiht. Als Rhythmustandem sind die beiden einfach unbestechlich, da sie ihren Mitspielern sehr genau zuhören. “Ihren Radar”, so meint Alessi, “haben die beiden immer eingeschaltet.”
Der 1963 geborene Ralph Alessi selbst ist seit langem als “musician’s musician” bekannt und gilt in New York als Trompeter ersten Ranges, der praktisch alles vom Blatt spielen kann. Als versierter Improvisator tat er sich nicht nur in den Bands von Coleman, Coltrane und Weber hervor, sondern auch an der Seite von Uri Caine und Don Byron sowie im Duett mit Fred Hersch und natürlich seinen eigenen Ensembles.