Marcin Wasilewski Trio | News | Marcin Wasilewski Trio & Joe Lovano - perfekte Balance zwischen Lyrismus und Powerplay

Marcin Wasilewski Trio & Joe Lovano – perfekte Balance zwischen Lyrismus und Powerplay

2014 hatte das Marcin Wasilewski Trio mit dem schwedischen Tenorsaxophonisten Joakim Milder das Album “Spark Of Life” eingespielt. Auf “Arctic Riff” gastiert nun US-Star Joe Lovano.
Slawomir Kurkiewicz, Joe Lovano, Marcin Wasilewski, Michal Miskiewicz
Slawomir Kurkiewicz, Joe Lovano, Marcin Wasilewski, Michal MiskiewiczSam Harfouche / ECM Records
25.06.2020
“Arctic Riff” dokumentiert das erste Aufeinandertreffen zwischen dem dynamischen polnischen Trio des Pianisten Marcin Wasilewski und dem US-amerikanischen Tenorsaxophonisten Joe Lovano. In der konzentrierten, zutiefst gefühlvollen Musik des Ensembles scheinen Lyrismus und Kraft perfekt ausbalanciert zu sein. Das Quartett spielt vier neue Stücke des Pianisten und eines des Tenorsaxophonisten sowie (in zwei Variationen) Carla Bleys Klassiker “Vashkar” und eine Reihe von kollektiven Improvisationen mit starkem Input aller vier Musiker.
Das Album beginnt mit Marcin Wasilewskis Rubato-Ballade “Glimmer Of Hope”, die – wie der Komponist erläutert – “hauptsächlich auf einem Motiv basiert, das sich durch einige Tonarten bewegt. Ich war sehr gespannt darauf, zu hören, wie es mit Joes Saxophon klingen würde.” Das Klavier bereitet behutsam auf den Einstieg des Saxophons vor, und Lovanos allererste Phrase – unterstützt von Michal Miskiewiczs gefühlvollem Jazzbesenspiel – erschafft die einfühlsame Atmosphäre intensiven Zuhörens, die die gesamte Aufnahmesession kennzeichnet.
Mit Carla Bleys “Vashkar” folgt dann ein Stück, das im Laufe eines halben Jahrhunderts schon auf viele verschiedene Arten interpretiert wurde. Marcin, der die Nummer durch das Album “Footloose!” des Paul Bley Trio mit Steve Swallow und Pete LaRoca kennengelernt hat, findet neue Möglichkeiten innerhalb der musikalischen Welt, die ihm Carlas Thema eröffnet: “Ich mag Carlas Kompositionen sehr und wollte die wunderbare Melodie von ‘Vashkar’ unbedingt mit Joe spielen.” Lovano rückt der Melodie mit all seiner Autorität zu Leibe, bevor das polnische Trio einige der in ihr gemachten Andeutungen auflöst. Joe hatte Carla Bleys Musik schon 1983 als Mitglied ihrer Band und 1986 mit Charlie Hadens Liberation Music Orchestra gespielt. Aber in der vorliegenden Aufnahme setzt er sich nun zum ersten Mal mit “Vashkar” auseinander.
“Cadenza” ist das erste und mit neun Minuten auch längste der Stücke von “Artic Riff”, die auf kollektive Weise aus dem Moment heraus entstanden sind. “Bei jeder unserer Aufnahmen haben wir versucht, musikalische Gefilde zu erkunden, die wir vorher noch nicht betreten hatten. Für die improvisierten Stücke gab es überhaupt keinen vorgefassten Plan. Aber gerade als wir dabei waren, gemeinsam ein musikalisches Statement zu ‘Cadenza’ abzuschließen, hatte ich das Gefühl, dass es gut sein könnte, ein wenig weiterzugehen. Im selben Augenblick teilte mir Manfred Eicher über meinen Kopfhörer mit: ‘Mach bitte weiter, Marcin.’ Das war wirklich ein besonderer Moment, der dazu beigetragen hat, das Ganze spontan zu einem besseren Kunstwerk zu machen.”
In seiner eleganten Ballade “Fading Sorrow” findet Wasilewski Wege, die Musik innerhalb des Songformats frisch klingen zu lassen. Ein Höhepunkt ist hier Slawomir Kurkiewiczs Basssolo, das von Marcins subtilem Akkordspiel und Miskiewiczs diskretem Schlagzeug untermalt wird. In den Vordergrund tritt Slawomir auch in dem freien Stück “Arco”, dass er – wie der Titel bereits andeutet – mit einem gestrichenen Basspart eröffnet. “Freie Improvisation ist eine sehr lohnende Erfahrung, die auf gegenseitigem Vertrauen und Offenheit basiert”, sagt Slawomir. “Als Trio, das seit langem zusammen ist, haben wir schon oft frei gespielt. Es war bewegend zu sehen, mit was für einer Unmittelbarkeit und Klarheit Joe sich sofort ins Getümmel stürzte. Es ist großartig, seine Stimme in einem solchen Kontext zu hören.” Eine von Lovanos Stärken ist, dass er sich als voller Enthusiasmus auf alle Spielarten des Jazz einlässt, einschließlich seiner traditionellen, modernen und experimentellen Ausdrucksformen.
In “Stray Cat Walk” gibt Joes verschmitzt-fröhliches Tenorsax den Ton vor. Seinem nächtlichen Streifzug schließen sich aber schon bald auch Slawomirs Bass und Michals Schlagzeug an. “Die Schönheit von Joes Melodien und sein erstaunlicher rhythmischer Flow spornen einen als Musiker zu mehr Kreativität und Spontaneität an.”
“L’amour fou” ist ein Stück, das Marcin Wasilewski eigens schrieb, um Lovanos Fähigkeiten in einem Kontext mit einem schnellen Tempo zu zeigen. Der Arbeitstitel war ursprünglich “Crazy For Lovo”. Der Autor des Stücks glänzt hier selbst auch mit einem überschäumenden Solo. Im Anschluss daran hebt Joe, von der Rhythmusgruppe beflügelt, zu einem solististischen Höhenflug ab, dem Michal ein kurzes, aber cleveres Schlagzeugsolo folgen lässt.
“A Glimpse” ist eine kaleidoskopische freie Miniatur mit wechselndem Fokus, die allen Musikern durchweg sehr viel Aufmerksamkeit abverlangt. “Aus meiner Sicht ist es notwendig, sich zutiefst auf jeden einzelnen Ton zu konzentrieren und irgendwie vorauszuahnen, was in der nächsten Sekunde oder in den nächsten paar Sekunden passieren kann, oder sich manchmal auch die ganze Sequenz vorzustellen”, erläutert Miskiewicz.
Eine zweite Version von “Vashkar” räumt Joe Lovano mehr solistischen Spilraum ein. “'Vashkar' ist ein wunderbares, ausdrucksstarkes Musikstück”, meint Joe. “Jede der beiden Versionen hat eine eigene Stimmung und Struktur und wird auf eigene Art ergründet. Ich bin froh, dass Manfred sich entschieden hat, beide Takes auf das Album zu nehmen. Carlas Musik ist inspiriert und inspirierend – und dasselbe gilt meines Erachtens auch für einen Teil der Musik, die wir auf ‘Arctic Riff’ erschaffen haben.”
“On The Other Side” schrieb Joe für die Session “als Kontrast zu Marcins Kompositionen”. Es ist ein swingendes, frei fließendes Stück mit einer speziellen Abfolge von Ereignissen: “Das Schlagzeug gibt das Thema vor, das ein Frage-und-Antwort-Austausch zwischen dem Tenorsax und dem Schlagzeug sowie dem Klaviertrio ist”, erklärt Lovano. “Es folgt ein Duett von Klavier und Schlagzeug, dem sich eine Trio-Passage ohne das Klavier anschließt. Dann gesellt sich das Klavier wieder dazu und leitet über zu einem letzten Thema mit Ausschmückungen. Das Endresultat war genau das, was ich mir erhofft hatte.”
Schließlich ist da noch Marcins “Old Hat”, eine bewegende Ballade in klassischem Jazzstil mit besonders gefühlvollen Soli von Marcin Wasilewski und Joe Lovano. Der Titel ist sowohl ein Verweis auf das nostalgische Flair des Stücks als auch auf Joes Vorliebe für klassische Kopfbedeckungen.