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Lizz Wright – Dreaming Wide Awake

17.06.2005
Rund um den Globus beeindruckte im Jahre 2003 wohl kein anderes Debütalbum die Jazzkritiker und -hörer so sehr wie Lizz Wrights “Salt”. “Eine Stimme wie Samt und Seide – eine Stimme aber auch, die den Zuhörer nicht nur gefällig umschmeichelt, sondern ihn fordert, ihm unmerklich unter die Haut kriecht in ihrer unglaublichen Klarheit, ihrer unkomplizierten Eleganz und verblüffenden Rundheit, ja Reife”, schrieb Matthias Inhoffen seinerzeit in Stereoplay. Nun legt die mittlerweile 25jährige mit “Dreaming Wide Awake” ihr zweites Verve-Album vor.
Während Lizz Wright ihr erstes Album unter der Obhut der Produzentenlegende Tommy LiPuma aufnahm, stand ihr bei “Dreaming Wide Awake” ein jüngerer, aber keineswegs unbekannter Produzent mit Rat und Tat zur Seite: Craig Street wurde in der Jazzszene auf einen Schlag berühmt, als er 1993 Cassandra Wilsons bejubeltes Blue Note-Debüt “Blue Light ‘Til Dawn” produzierte. Es war gleichzeitig das erste von Street produzierte Album. Seitdem profilierte er sich vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, als Produzent von weiteren ausdrucksstarken und sehr individuellen Sängerinnen wie Holly Cole (“Temptations”/1995), k.d. lang (“Drag”/1997), Me’Shell NdegéOcello (“Bitter”/1999), Susana Baca (“Eco De Sombras”/2000), Norah Jones (“Come Away With Me”/2002) und Toshi Reagon (“Toshi”/2002). Wie all diese Alben trägt auch “Dreaming Wide Awake” deutlich die subtile Handschrift Craig Streets und ist zugleich dennoch ein unglaublich persönliches Album der jungen Lizz Wright.

“Als ich mich das erste Mal mit Craig traf, fragte er mich, welche Art von Musik ich gerne höre”, erzählt Lizz Wright. “Ich sagte ihm, daß ich wirklich auf die Sachen von Leuten wie Jeff Buckley, Damien Rice und Sarah McLachlan stehe. Ich liebe bedeutungsvolle Songs. Mein Dilemma war, daß ich in Gospel-, Chor- und auch ein bißchen in Opernmusik geschult wurde und sehr an diese Gesangstechniken gewöhnt war. Aber ich wollte mich von diesen Stilen unbedingt etwas weiter wegbewegen.”

Als Tochter eines Pfarrers im ländlichen Georgia geboren, eroberte Lizz Wright die Musikwelt vor zwei Jahren im Sturm: zuerst mit ihren Auftritten bei zwei Billie-Holiday-Tribute-Konzerten in Chicago und Los Angeles, dann mit ihrem Debütalbum “Salt”, auf dem sie mit ihrer gospelgeschulten Kontraaltstimme eine unter die Haut gehende Mischung aus Rhythm’n’Blues und Jazz darbot. Der New York Times-Kritiker Stephen Holden nannte sie damals “eine junge Jazzsängerin und Songschreiberin von erstaunlicher Reife und Selbstsicherheit” und schrieb, daß sie “auf ihrem Debütalbum und auf der Bühne gesponnenenes Gold erschafft, indem sie Jazz, Gospel und Rhythm’n'Blues zu einem reflektierenden, fließenden Stil verrührt, der Songs zu andachtsvollen Meditationen macht, die sich nie in Unbestimmtheit verlieren. Ihre absolut intonationssichere, rauchige und vollmundige Stimme beeindruckt durch Unverwandtheit, Kontrolliertheit und rhythmische Subtilität.”

Die dreizehn Songs von “Dreaming Wide Awake” sind von noch größerer stilistischer Bandbreite (von Jazz und Gospel über Soul und Rhythm’n'Blues bis hin zu Pop und Stücken in der Singer/Songwriter-Tradition), wirken aber trotzdem wie aus einem Guß. Neben von Lizz Wright selbst komponierten Nummern (eine davon entstand in Kooperation mit Jesse Harris und Toshi Reagon), enthält das Repertoire von “Dreaming Wide Awake” erfrischend originelle Interpretationen von Songs, die einst durch so unterschiedliche Künstler wie Neil Young, Frank Sinatra, Madonna, die Youngbloods, die Beatles und Herb Alperts Tijuana Brass weltweit bekannt wurden.

Die zündende Idee für das Konzept ihres neuen Albums kam Lizz Wright bei einer Taxifahrt durch ihren derzeitigen Wohnort Atlanta. Im Radio hörte sie Sarah McLachlans “Angel”. “Es war ein unglaublicher Augenblick”, erinnert sich die Sängerin. “Mir wurde schlagartig bewußt, daß dies genau die Sorte Musik war, die ich wirklich machen wollte.” Um diese verwirklichen zu können, mußte sie sich aber erst einmal von dem musikalischen Vokabular lösen, das sie sich bis dahin angeeignet hatte, und für die Kompositionen auch zu einem für sie noch neuen Instrument greifen. “Meine Songs für ‘Salt’ hatte ich allesamt am Klavier komponiert. Aber als sich die Idee für mein neues Album in meinem Kopf herauskristallisierte, griff ich zur Gitarre, spielte ein paar Akkorde und sang einfach dazu.” Das erste Stück, das dabei entstand, war “Trouble”. “Hit The Ground”, eine weitere Originalnummer, basiert auf den Akkorden, die Lizz Wright beim Spielen von “Amazing Grace” lernte. Fertiggestellt wurde das Stück später in Zusammenarbeit mit Jesse Harris und Toshi Reagon.

Neben diesen eigenen Songs interpretiert Lizz Wright auf “Dreaming Wide Awake” u.a. auch den Neil Young-Klassiker “Old Man”, Joe Henrys “Stop” (unter dem Titel “Don’t Tell Me” machte Madonna das von ihrem Schwager Joe adaptierte Stück zu einem Nummer 1-Hit), das durch die Beatles und Herb Alperts Tijuana Brass zum Welthit gemachte “A Taste Of Honey”, den Sixties-Song “Get Together” von den Youngbloods sowie Diana Krall und Elvis Costellos “Narrow Daylight”.

Wie geschmackvoll und höchst originell Lizz Wright mit diesen Fremdkompositionen umzugehen versteht, zeigt wohl am Besten ihre Version von “A Taste Of Honey”, mit der das neue Album beginnt. Die honigsüße Easy-Listening-Nummer verwandelte sie auf magische Weise in einen spartanischen, nur von Akustikgitarre, Handtrommel und ihrer Stimme intonierten Blues, der direkt den Sümpfen Louisianas entstiegen zu sein scheint. Einfach wunderbar sind auch Wrights Interpretation des von Ella Jenkins komponierten Kinderlieds “Wake Up, Little Sparrow” und ihr Remake des durch Frank Sinatra bekanntgewordenen Jazzstandards “I’m Confessin'”.

Bei den Aufnahmen der dreizehn Songs von “Dreaming Wide Awake” standen Lizz Wright neben ihrem Produzenten Craig Street u.a. auch der Gitarrist Bill Frisell, der Grammy-gekrönte Songwriter Jesse Harris, Mark Anthony Thompson (a.k.a Chocolate Genius), Ollabelle-Organist Glenn Patscha und die rockige Sängerin, Gitarristin und Songautorin Toshi Reagon zur Seite.

Der Titel “Dreaming Wide Awake” scheint für das Album einer Künstlerin, die gerade erst die noch in ihr schlummernden Talente entdeckt, sehr passend gewählt zu sein. “Manchmal tut man Dinge und realisiert den tieferen Sinn dessen, was man gemacht hat, erst später, nachdem es bereits passiert ist”, sagt Lizz Wright. “Bei diesem Album ging es mir so. Natürlich wollte ich einen Schritt nach vorne unternehmen. Aber ich habe auch festgestellt, daß ich in meinem tiefsten Innern – fernab von den Erwartungen, die andere Leute von mir und meiner Kunst haben – ein Faible für Schlichtheit habe und eine sehr sanfte Person bin. Dieses Projekt hat mir gezeigt, daß es vollkommen in Ordnung ist, dies auch musikalisch zum Ausdruck zu bringen.”
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