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Keith Jarrett – Vienna Concert

13.07.1991
“Auf diesem Planeten”, merkt der Poet Robert Bly in seinem kurzen Begleittext zu dieser CD an, “werden wir wieder und wieder geboren.” Keith Jarrett würde zustimmen, wenn man sagt, daß seine periodischen Rückkehren zum Solokonzert-Format einer Serie von Wiedergeburten gleichkommen. Seine ausgedehnten Improvisationen sind jedesmal mit den Lebenslektionen aufgeladen, die er in der Zwischenzeit – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Musik – gelernt hat. In diesem Sinne ist es möglich, das ganze Solo-Œuvre als ein Tagebuch zu betrachten, das Jarretts Fortschritt als Improvisator widerspiegelt, ein Fortschritt, der unweigerlich von seinen zahlreichen Parallelprojekten beeinflußt wird. “Der Abwägungsprozess beim Improvisieren”, meint Jarrett, “ist eine der schnellsten Sachen, die ich kenne, und man hat dabei nur Zeit, der zu sein, der man in diesem Moment wirklich ist.”
Der Jarrett, den man im “Vienna Concert” – das nur drei Tage nach seiner intensiven Auseinandersetzung mit Schostakowitschs “24 Preludes And Fugues op. 87” (ECM New Series 1469) aufgenommen wurde – hören kann, ist ein anderer Spieler als etwa der Jarrett des “Köln Concert” (ECM 1064) oder jener der “Sun Bear”-Tournee (ECM 1100). Die Musik weist in der Tat sogar zum “Paris Concert” (ECM 1401) – Jarretts letztem Satz von Solo-Piano-Improvisationen, der 1988 mitgeschnitten wurde – nur wenige Bezüge auf.

Keith Jarrett definiert den Unterschied poetisch: “Ich habe das Feuer lange Zeit umworben, und in der Vergangenheit sind viele Funken geflogen, aber die Musik dieser Aufnahme spricht endlich die Sprache der Flamme selbst.”

Die Musik ist heute in jeder Hinsicht klarer – und dies nicht nur wegen der Aufnahmequalität, die selbst für ECM-Maßstäbe exzeptionell ist. Durch die Disziplin und das Selbstbewußtsein, die ihm die Interpretationen von Schostakowitschs Werken abverlangten, ist Jarretts Artikulation bei dieser Darbietung in der Wiener Staatsoper – dem ersten rein instrumentalen Recital, das an dieser Kunsstätte über die Buhne ging – klarer als je zuvor und die Unabhängigkeit seiner rechten und linken Hand oftmals atemberaubend. Da Jarrett seine freieren Instinkte im Zaum hält, können sich melodische Ideen mit der strikten Logik von Kompositionen entfalten und Emotion wird durch den Widerstand gegen eine leichter erlangbare Emotionalität hervorgerufen. “Es ist eine Frage des Bewußtsseins”, sagte der Pianist einmal. “Man muß alle Kriterien kennen und sie jederzeit im Auge haben. Es muß einen Weg geben, sich im richtigen Moment zu zügeln…”

Aufnahme am 13. Juli 1991 in der Wiener Staatsoper (CD Veröffentlichung 1992) – Weitere Veröffentlichungen der Soloprojekte von Keith Jarrett finden Sie hier
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