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Julia Hülsmann Quartet – drei Insider und ein Outsider

Für ihr neues Album “Not Far From Here” erweiterte Pianistin Julia Hülsmann ihr seit 17 Jahren bestehendes eingespieltes Trio um den Tenorsaxophonisten Uli Kempendorff.
Julia Hülsmann
Julia HülsmannDovile Sermokas / ECM Records
31.10.2019
Auf ihrem siebten ECM-Album “Not Far From Here” stellt Julia Hülsmann eine neue Band vor, deren Rückgrat wieder von Bassist Marc Muellbauer und Schlagzeuger Heinich Köbberling gebildet wird, mit denen die Pianistin nun schon seit siebzehn Jahren eng zusammenarbeitet. Den Platz des britischen Trompeters Tom Arthurs, der auf “In Full View” (2013) und “A Clear Midnight: Kurt Weill And America” (2015) zu hören war, nimmt jetzt der Berliner Tenorsaxophonist Uli Kempendorff ein. Kempendorff, dem Wolf Kampmann in Jazzthetik einmal sowohl “viel Geschmeidigkeit” als auch “viel Widerspenstigkeit” attestierte, versorgt das Gruppen-Konzept mit frischer Energie und neuen Perspektiven, während er gleichzeitig dem ausgeprägten Sinn für Melodien Rechnung trägt, der in Julias Werken von zentraler Bedeutung ist. Hülsmann und Kempendorff spielten das erste Mal von rund zwanzig Jahren miteinander – “Uli muss damals ungefähr 18 gewesen sein”, erinnert sich Julia – und haben seitdem gelegentlich Duo-Konzerte gegeben. Bassist Marc Muellbauer war Mitglied einiger der von Kempendorff geleiteten Bands und spielte auch auf seinen Alben “Out With It” (2006) und “Louise” (2010). Da beide Musiker in der Berliner Szene aktiv sind, kam es darüber hinaus von Zeit zu Zeit auch ad hoc zu anderweitigen Kollaborationen.
“Ich hatte zunehmend das Gefühl, dass Uli jetzt der richtige Musiker für uns ist”, sagt Julia. “Wir vier haben zusammen viel geprobt, was an sich schon interessant war. Denn mit dem Trio haben wir eigentlich nie großartig geprobt. Wir haben die Proben aufgenommen und analysiert und uns angesehen, was am besten funktionierte. Es ist nicht so einfach, als außenstehender Spieler in die Musik dieses engen Freundeskreises hineinzufinden. Aber es war bald klar, dass Uli durch aufmerksames Beobachten und Zuhören eine Vorstellung davon bekommen hatte, wie unsere Gruppe funktioniert. Und auf umsichtige und einfühlsame Weise gelang es ihm, etwas Eigenes beizutragen. Bei Konzerten gehen wir jetzt, da sich die Arrangements und das Material mehr öffnen, immer experimentierfreudiger zur Sache.”
Jedes Mitglied des Quartetts steuerte eigene Kompositionen zum Repertoire des Albums bei. Fünf davon gingen auf das Konto von Julia Hülsmann. “Weit Weg”, “Streiflicht” und “No Game” begannen ihr Leben als Soloklavierstücke, die für das Quartett adaptiert und erweitert wurden, während das Titelstück “Not Far From Here” eigens für diese Besetzung geschrieben und Kempendorffs eloquentes Tenorsax gewandt in Hülsmanns Gruppenkonzept integriert wurde.
Schlagzeuger Heinrich Köbberling wartet mit Stücken auf, die kaum verschiedener sein könnten. Das bezaubernde “If I Had A Heart” beginnt beinahe wie eine Ben-Webster-Ballade, bevor sein Thema einem Feature für Bassist Marc Muellbauer Platz macht, der in der Struktur des Songs solo spielt. “Colibri” hingegen könnte man, wie Julia anmerkt, als “ein typisches Schlagzeugerstück” bezeichnen, das auf einer “rhythmischen Idee basiert, aber dann mit dem Swing-Part in der Mitte in eine ganze andere Richtung geht. Dieses Element hatten wir noch auf keinem unserer bisherigen Gruppenalben, obwohl wir alle schon Jazz mit diesem Feeling gespielt haben.”
Marc Muellbauer ist der Autor von “Mistral” und “Wrong Song” den beiden längsten Stücken des Albums. “'Mistral' ist ein sehr wichtiges Stück für uns”, erklärt Julia. “Es ist ein großartiges Beispiel dafür, wie sich eine technische Idee zu etwas entwickeln kann, das sehr locker und offen wirkt. Daran haben wir lange gearbeitet. Anfangs hatten wir die Nummer ‘Thirty-Five’ genannt, weil Marc hier mit dem Vielfachen von 5 und 7 herumspielt. Aber aus dieser rhythmischen Idee heraus entwickelte es sich zu etwas anderem, das uns mehr Freiheit gibt. Wir können uns innerhalb dieses Stücks bewegen und es ist jedes Mal anders, wenn wir es spielen. Ich liebe diesen Aspekt.”
Uli Kempendorffs kompositorische Beiträge sind das knappe “You Don’t Have To Win Me Over”, in dem nur kurz seine Botschaft darlegt wird, und das enigmatischere Stück “Einschub”, das sich einer prompten Kategorisierung widersetzt. “Als er es bei der ersten Probe vorstellte, war ich mir nicht sicher, was es war”, meint Julia. “Uli hat in seinen Stücken, in seinem Umgang mit Harmonien und Melodien, etwas, was wir – Marc, Henrich und ich – nicht haben. Bei ‘Einschub’ geht es, glaube ich, um die Unabhängigkeit der Linien und der Rhythmen, die zum Ende hin durch die Art, wie sie sich überlappen, recht komplex werden.”
Julias musikalischer Enthusiasmus beschränkte sich nie allein auf Jazzquellen. Auf ihren vorangegangenen Alben setzte sie sich schon mit der Musik von Kurt Weill, kirgisischen Volksliedern sowie Pop- und Rockmusik von Seal und Radiohead auseinander. Diesmal rundet wird das Programm durch eine zeitgemäße Coverversion der Hit-Single “This Is Not America” ab, die David Bowie 1985 mit der Pat Metheny Group aufgenommen hatte. Das Stück war damals von Bowie, Metheny und Lyle Mays für John Schlesingers Spionagefilm “Der Falke und der Schneemann” geschrieben worden. Ihre Motivation, das Stück zu spielen, war – so sagt sie – zumindest anfangs nicht politisch. “Es ist einfach eines meiner absoluten Lieblingslieder. Wir haben es schon auf verschiedene Weisen ausprobiert und mit unterschiedlicher Intensitätsgraden gespielt. Diesmal spielten wir am Anfang alle ganz leise. Dann bringt Uli mit der Emotion und Wut, die sich in seinem Solo aufbaut, die ‘politische’ Dimension zum Vorschein.” Bei der Solo-Klavier-Variante von “This Is Not America”, mit der das Album endet, schlägt die Stimmung dann in Melancholie um.
 
 
Tour 2019/2020 Julia Hülsmann Quartet (“Not Far From Here”) & Trio (“Sooner And Later”):
 
01.11.2019 München, Unterfahrt (Quartett)
03.11.2019 Helmbrechts, Textilmuseum (Trio)
09.11.2019 Köln, Stadtgarten (Quartett)
10.11.2019 Freiburg, Jazzhaus (Quartett)
13.11.2019 Berlin, A-Trane (Quartett)
14.11.2019 F-Paris, Jazzfestival (Quartett)
15.11.2019 GB-Cambridge, Gonville & Caius College @ Jazzfestival (Quartett)
17.11.2019 GB-London, Purcell Room @ EGF London Jazz Fest (Quartett)
23.11.2019 BE-Brüssel, ECM50 @ Flagey (Quartett)
17.12.2019 Gütersloh, Theater (Trio)
20.12.2019 Ottobrunn, Klavierfestival (Solo)
28.01.2020 Kassel, Theaterstübchen (Quartett)
01.02.2020 Dresden, Jazzclub Tonne (Quartett)
27.02.2020 Bremen, Sendesaal (Quartett)
01.03.2020 Meschede, Stadthalle (Quartett)
28.03.2020 Minden,Jazzclub (Quartett)
03.04.2020 Düsseldorf, Jazzschmiede (Quartett)