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Eine Band in Bestform – Ravi Coltrane über seinen berühmten Vater

In einem Videointerview beantwortet Ravi Coltrane Fragen zum wiederentdeckten John-Coltrane-Album “Both Directions At Once”.
Ravi Coltrane
Ravi ColtraneImpulse Reords
19.07.2018
 Die Nachricht von der Entdeckung eines unveröffentlichten Coltrane-Studioalbums aus dem Jahr 1963 sandte wahre Schockwellen durch die Jazzwelt. Kein Geringerer als Sonny Rollins verglich den Fund der Aufnahme mit der Entdeckung einer „neuen Kammer in einer der großen Pyramiden". "Wir alle wissen, wie wertvoll diese Aufnahme historisch gesehen ist", stimmt Coltranes Sohn Ravi, selbst ein renommierter Saxophonist, in einem Gespräch über “Both Directions At Once” seinem großen Kollegen zu.
Ravi Coltrane erinnert zudem daran, dass zu dem Zeitpunkt, als die Session mitgeschnitten wurde, niemand Musik wie John Coltrane und sein “klassisches Quartett” machte: “Sie ahmten damals nicht den Musikstil nach, der in den frühen 60ern üblicherweise gespielt wurde”, sagt er. “Sie kreierten tatsächlich ihren eigenen Sound. Einen Sound, der nicht existiert hatte, bevor sie ihn erfanden.”
Zum Zeitpunkt der Aufnahme steckten John Coltrane und seine Band – Schlagzeuger Elvin Jones, Bassist Jimmy Garrison und Pianist McCoy Tyner - mitten in einem zweiwöchigen Birdland-Engagement und bereiteten sich darauf vor, am nächsten Tag im Studio von Rudy Van Gelder in New Jersey das berühmte “John Coltrane And Johnny Hartman”-Album aufzunehmen. "Dies war eine Band in Bestform", merkt Ravi an. “1963 befand sie sich auf einem interessanten Scheitelpunkt. Coltrane und seine Gruppe standen mit einem Bein in der Vergangenheit – man kann sie Blues- und Bebop-Melodien wie ‘Vilia’ und ‘Impressions’ spielen hören -, aber sie deuteten auch schon an, in welche Richtung sie sich vorwärtsbewegen würden.”
Da McCoy Tyner bei einigen Songs pausierte, lässt “Both Directions At Once” auch schon Veränderungen erahnen, die Coltrane bei Auftritten mit seiner Band vornehmen sollte. “Sie begannen als Quartett und dann pausierte McCoy”, erklärt Ravi. “Und dann spielten sie eine Weile als Trio weiter, bis Jimmy ausstieg und John und Elvin schließlich zusammen als Duo agierten. Das war eine Vorgehensweise, für die das Quartett bei seinen Live-Auftritten bekannt werden sollte.” 
“Both Directions At Once” konnte nur in Rudy Van Gelders Studio aufgenommen werden. “Der Klang dieser Aufnahme ist überwältigend”, sagt Ravi Coltrane und fügt hinzu: “Man hört die kleinsten Details aller Instrumente, vor allem beim Bass, dem Schlagzeug und den Becken. Es ist ein Beweis für Rudys fantastisches Ohr, seine Auffassungsgabe als Aufnahmeingenieur und dafür, wie er mit einem Künstler arbeiten konnte.” Ravi weist auch auf die Bedeutung des Studios selbst hin: “Es hat eine gewölbte Decke, daher ist das Klangabbild etwas diffus… sein Studio ist fast schon kathedralenartig. Es wurde von Grund auf neu gebaut und extra so entworfen, um den Klang von Trommeln, Saxophonen und Blechblasinstrumenten zu kontrollieren. Rudy war ein Klangpionier, ein Klangmeister, und er baute einen unglaublichen Klangraum.”
Und dennoch war das, was Coltrane einbrachte, nicht weniger einzigartig. “Coltrane war nicht nur ein Meister des Rhythmus und der Melodie, sondern auch ein Meister der erweiterten Techniken auf dem Saxophon”, sagt Ravi. “Tonal hatte er einen Klang, der damals einzigartig war, und all das, was er mit den erweiterten Techniken – falschen Fingersätzen und Überblasen – vollbrachte, änderte die Art und Weise, wie wir über diese Musik denken, wie wir improvisierte Musik auf einem Saxophon hören.”
Die fortschrittlichsten Musiker der heutigen Zeit – von Kamasi Washington bis Kendrick Lamar – folgen noch immer Coltranes Führung. “Wir reden noch heute über ihn. Wir spielen noch heute seine Musik. Und wir lernen noch heute von ihm”, sagt Ravi Coltrane. “Und er überrascht uns auch heute noch.”
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