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Aus dem Club auf den Teller – wie klingt Coltranes “Lost Concert”?

“A Love Supreme: Live In Seattle” fand sich letztes Jahr in allen Jazz-Charts wieder. Wir schauen und hören uns die LP des Werkes einmal genauer an.
JazzEcho-Plattenteller: John Coltrane "A Love Supreme: Live In Seattle"
JazzEcho-Plattenteller: John Coltrane "A Love Supreme: Live In Seattle"
13.01.2022
Diese LP und weitere von Impulse! Records finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
 Alles an der überraschenden Entdeckung einer Konzertversion von John Coltranes “A Love Supreme”, der berühmtesten Musiksuite des Jazz, löste letztes Jahr bei Fans des Musikers Freude aus: jahrelang hatte man gedacht, dass Coltrane das Programm seines ikonischen Studioalbums nur einmal live beim Antibes Jazz Festival aufgeführt hatte, die 1965 im “Penthouse Club” in Seattle mitgeschnittene Interpretation präsentiert dem Hörer eine anders klingende, stärker improvisatorische Herangehensweise an die Suite, zudem ist eine erweiterte Bandbesetzung von insgesamt sieben Musikern inkl. der Mitglieder seines Classic Quartet (McCoy Tyner, Jimmy Garrison, Elvin Jones) mit Pharoah Sanders zu hören.
Eine Frage stand allerdings im Raum: wie würde die von einem Freund Coltranes, dem Seattle-stämmigen Musiker Joe Brazil, mit dem hauseigenen Aufnahmegerät des Clubs mitgeschnittene Aufnahme klingen? Die MINT schreibt in ihrer Rezension der LP-Ausgabe dazu: “Freilich handelt es sich nicht um eine Aufnahme, die den Ansprüchen des Opulenten genügen würde, aber technisch schlecht im Sinne eines Bootlegs ist sie auch nicht. Eher im Gegenteil: Man kann sich gut einhören, zumal die Klangrestauration bis auf eine leichte Rechtslastigkeit im Panorama und (naturgegebene) Überpräsenz von Elvin Jones sehr gut gelungen ist – was beim vorliegenden Bandmaterial sicher keine Kleinigkeit war.
Tonmeister Kevin Reeves, der das Album gemastert hat, erklärt dazu:
”Oftmals leiden Bänder aus jener Zeit im Laufe der Jahre unter Hitze- oder Feuchtigkeitsschäden, oder werden fehlerhaft horizontal gestapelt. Eine weitere Gefahr ist die Überbeanspruchung, Bandmaschinen aus jener Zeit können zu solch dünnen Bändern sehr rau sein, was zu Problemen wie Flattern, Aussetzern oder Schlimmerem führen kann. Zum Glück waren die fünf 7-Zoll-Rollen mit ¼-Zoll-Band in bemerkenswert gutem Zustand, weder spröde noch geknickt. Sie wurden anscheinend nicht oft gespielt und richtig gelagert.
Das Aufnahmesystem im ‚Penthouse Club‘ war ein einfaches Zwei-Mikrofon-Setup auf der Bühne, verbunden mit einer Ampex-Bandmaschine, die Viertelspuren aufnehmen konnte. Wenn man den linken und rechten Kanal getrennt hört, kann man hören, dass die Mikrofone mindestens zwei Meter voneinander entfernt platziert waren. Eines befand sich in der Nähe des Klaviers und das andere näher an den Frontline-Instrumenten: Saxofon usw., was für ein sehr effektives, ausgewogenes Stereobild sorgt.
 Der Trick bei der korrekten Wiedergabe eines Viertelspurbands aus dieser Zeit besteht darin, den passenden Tonkopf zu finden. Anfangs hatten wir Schwierigkeiten, optimale Referenzübertragungen der Master zu bekommen, da ich in Nashville war, während sich unsere Sammlung historischer Tonköpfe im New Yorker Studio befindet. Im damaligen Corona-Lockdown und mit eingeschränktem Zugang zum Gebäude war das ein Problem. Aber sobald wir den richtigen Tonkopf identifiziert und ins Studio in Nashville kuriert hatten, war die Magie dieser Aufnahmen sofort greifbar. Diese Bänder gehören zu den besten ‚Amateuraufnahmen‘ von John Coltrane, an denen wir je das Vergnügen hatten, zu arbeiten."
Der optische und haptische Rahmen der LP-Variante von “A Love Supreme: Live In Seattle” versüßt einem die nicht mit heutigen Klangansprüchen vergleichbare Aufnahme zudem, mit in 180g gepresstem Doppel-Vinyl, in ansprechendem Impulse!-Look gestaltetem Gatefold-Sleeve, und informativem LP-großen Booklet. Es gibt nur eins, das diese LP übertreffen könnte: selbst am 2. Oktober 1965 im “Penthouse Club” in Seattle dabei gewesen zu sein.
 
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