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Andrea Motis – das Wunderkind ist erwachsen geworden

Für ihr neues Album “Do Outro Lado Do Azul” durchstöberte die Trompeterin und Sängerin Andrea Motis die Schatzkiste der brasilianischen Musik nach besonderen Preziosen.
Andrea Motis
Andrea MotisJean-Marc Viattel
28.02.2019
Mit ihren gerade einmal 23 Jahren kann Andrea Motis schon einen künstlerischen Lebenslauf vorweisen, der viele ältere Kollegen vor Neid glatt erblassen lassen könnte. Auf ihrem internationalen Debütalbum “Emotional Dance”, das 2017 bei Impulse! Records erschien, sang und trompetete die junge Katalanin so glänzend und locker, als wäre sie schon seit Jahrzehnten im Geschäft. Jetzt legt sie mit “Do Outro Lado do Azul” ein fabelhaftes Album nach, auf dem sie einen mit subtil verjazzten südamerikanisch geprägten Nummern verzaubert.
“Do Outro Lado Do Azul” ist Zeugnis von Andrea Motis’ raschem Reifeprozess. So manches, was sie auf ihrem letzten Album angedeutet hatte, bringt sie hier nun zu voller Blüte. Statt Standards aus dem “Great American Songbook” interpretiert sie diesmal vorwiegend brasilianische Songs. Und bei der Auswahl der Stücke hat Motis nicht nur exquisiten Geschmack, sondern auch erstaunlichen Spürsinn bewiesen. Denn sie beschenkt uns hier mit weitgehend vergessenen, sublimen Samba-Juwelen von Giganten wie Ismael Silva, Janet de Almeida, Roque Ferreira und Paulinho da Viola, Preziosen von lediglich Insidern vertrauten Singer-Songwritern wie Moacyr Luz, José Miguel Wisnik und Luiz Tatit, aber auch einer zeitgenössischen Nummer von Roberta Sá und Rodrigo Maranhão. Anstatt einem den x-ten Aufguss sattsam bekannter Bossa-Nova-Klassiker vorzusetzen, sucht und findet Andrea ihren eigenen Zugang zu dem Material und offenbart dabei ihre tiefe Verbundenheit mit den Rhythmen, der Sprache und der Kultur Brasiliens.
Ausgeschmückt hat sie ihr Album mit wunderbar einfühlsamen Eigenkompositionen wie dem neckischen kleinen Samba “Brisa” oder der prächtigen, sonnendurchfluteten Ballade “Sense pressa” und einer meisterhaften Neuinterpretation von “Mediterráneo”, einer Hymne des großen katalanischen Liedermachers Joan Manuel Serrat. Andrea ist es gelungen, “Do Outro Lado Do Azul” zu einem höchst persönlichen Werk zu machen, das Ausdruck wahrer kreativer Emanzipation ist und hier in Form eines ästhetischen Manifests präsentiert wird.
Motis’ Mentor Joan Chamarro und viele der spanischen Musiker, die auch schon auf “Emotional Dance” zu hören waren, bilden erneut das Herzstück ihrer Begleitband. Erweitert wurde diese aber u.a. durch den Gitarristen Mathieu Tétéu Guillemant, den Klarinettisten Gabriel Amargant und den Violinisten Christoph Mallinger, die der Musik neue, zusätzliche Klangfarben verleihen. Eine besondere Erwähnung verdient an dieser Stelle der Pandeiro-Virtuose Sérgio Krakowski, der nicht nur schon mit Größen der brasilianischen Musik (Hamilton de Holanda, Maria Bethânia, Lenine), sondern auch des Jazz (Gonzalo Rubalcaba, Tigran Hamasyan, Lionel Loueke, Donny McCaslin, Anat Cohen) zusammengespielt hat. Er schrieb für das Repertoire zwei Stücke zusammen mit Andrea und steuerte ein weiteres alleine bei.
Ganz gleich, ob sie nun Trompete, Horn oder wie in zwei Titeln Sopransax spielt, Motis beeindruckt durch ihren scheinbar angeborenen Sinn für Melodien und ihre fast schon minimalistische, subtil unangestrengte Spielweise. Auch ihr Gesang hat unbestreitbar an Tiefe und Emotion gewonnen, die Phrasierung dabei aber nichts von ihrer jugendlichen Frische und Spontaneität verloren. “Do Outro Lado Do Azul” markiert unüberhörbar einen Wendepunkt: Das aufstrebende junge Wunderkind hat sich endgültig zur großen Künstlerin gemausert.
 
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