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In Memoriam: Zum 80. Geburtstag von Tomasz Stanko

Heute, am 11. Juli 2022, wäre der polnische Trompeter Tomasz Stanko 80 Jahre alt geworden. Eine willkommene Gelegenheit, noch einmal einen kurzen Blick auf seine einzigartige Karriere zu werfen.
Tomasz Stanko
Tomasz Stanko
11.07.2022
“Die Stimmung der polnischen Melancholie liegt mir im Blut.” (Tomasz Stanko)
Als Tomasz Stanko am 29. Juli 2018 im Alter von 76 Jahren verstarb, nannte ihn Nate Chinen, der renommierte Jazzkritiker der New York Times, auf Twitter einen “brillanten Trompeter und Komponisten” sowie “einen der hippsten Musiker, die ich je kennengelernt habe.” In  einem Porträt für das Blatt hatte ihn Chinen bereits zwölf Jahre zuvor als “einen der am meisten gefeierten improvisierenden Musiker Europas” bezeichnet.
Der am 11. Juli 1942 im polnischen Rzeszów geborene Tomasz Stanko begann seine Karriere Ende der 1950er Jahre, nachdem er sein erstes Jazzkonzert besucht hatte, einen der frühesten Auftritte des klassischen Dave Brubeck Quartet. Gemeinsam mit dem Pianisten Adam Makowicz und dem Saxophonisten Janusz Muniak gründete Stanko 1962 die Band Jazz Darings.
Schon ein Jahr später schloss er sich dem Quintett des bereits international bekannten Pianisten und Komponisten Krzysztof Komeda an, an dessen Seite er 1965 an der Erschaffung des Albums “Astigmatic” mitwirkte, einem Meisterwerks des europäischen Jazz.
Obwohl Miles Davis und Chet Baker frühe Einflüsse waren, fühlte sich Stanko schon bald zum Free Jazz von Ornette Coleman und Don Cherry hingezogen. “Ich war an künstlerischer Freiheit interessiert, weil ich persönlich kein großes Problem damit hatte, in dieser Zeit in einem kommunistischen Land zu leben”, erzählte er dem Jazzautor Andrew Gilbert einmal, als er sich mit diesem über das Thema “Jazz unter dem Kommunismus” unterhielt. “Es mag sein, dass Musiker der vorangegangenen Generation da mehr Probleme hatten. Sie hatten einfach nicht die Möglichkeit, so oft zu spielen. Aber ab 1963 war es ganz in Ordnung. Ich war viel mehr an der Freiheit in Ornettes Musik interessiert.”
Als Leader des Tomasz Stanko Quintet stieg er in den frühen 1970ern zu einem der führenden Musiker der Free-Jazz-Szene auf und war auf den wichtigsten europäischen Festivals zu hören. Seine nachfolgenden Projekte festigten diesen Status: die Tomasz Stanko-Adam Makowicz Unit und ein gemeinsames Quartett mit dem finnischen Schlagzeuger Edward Vesala, das 1975 Manfred Eichers Aufmerksamkeit weckte. Obwohl Stankos ECM-Debüt “Balladyna” auf beiden Seiten des Atlantiks mit Begeisterung aufgenommen wurde, trennten sich die Wege von ECM und Stanko danach wieder für die nächsten zwanzig Jahre. In diesem Zeitraum war er nur noch an zwei ECM-Produktionen von Edward Vesala (“Satu”, 1977) und Gary Peacock (“Voice From The Past – Paradigm”, 1982) beteiligt. In den 1980er Jahren trat Stanko mehrfach mit dem Pianisten Cecil Taylor auf, den er auch bei der Einspielung der Alben “Winged Serpent (Sliding Quadrants)” und “Alms/Tiergarten (Spree)” begleitete.
Seine Rückkehr zu ECM Records vollzog Stanko 1995 mit dem Album “Matka Joanna”, auf dem er ein neues Quartett mit Pianist Bobo Stenson, Bassist Anders Jormin und Schlagzeuger Tony Oxley vorstellte. Das Ensemble wurde weithin als eine der besten Jazzgruppen der Dekade gefeiert, während das 1997 erschienene Nachfolgealbum “Leosia” eine der seltenen Bestnoten im Penguin Jazz Guide erhielt. Noch im selben Jahr veröffentlichte er “Litania”, eine Hommage an die Musik von Krzysztof Komeda. Das Album wurde sein erster weltweiter Bestseller. Mit den Alben “Soul Of Things”, “Suspended Night” und “Lontano”, auf denen er von drei jungen polnischen Musikern begleitet wurde, fungierte er danach so nebenbei auch als Katalysator der internationalen Karriere des Marcin Wasilweski Trio.
Gemeinsam mit Marcin Wasilewski und seinem Bassisten Slawomir Kurkiewicz sowie Jan Garbarek wirkte der Trompeter 2005 außerdem auf dem ECM-Album “Neighbourhood” von Schlagzeuger Manu Katché mit. Sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte Tomasz Stanko damit, zwischen Warschau und seiner neuen zweiten Heimat New York hin- und herzupendeln. In Manhattan gründete er mit dem kubanischstämmigen Pianisten David Virelles, Bassist Thomas Morgan und Schlagzeuger Gerald Cleaver sein New York Quartet, mit dem er seine gefeierten beiden letzten Alben für ECM aufnahm: “Wisława” (2013) und “December Avenue” (2017). Im Jazz Journal meinte Michael Tucker damals über “Wisława”: “Archetypische, unverzichtbare Musik von einem der markantesten – und berührendsten – Poeten auf seinem Instrument in Europa.”