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Jazzanova Biografie

Jazzanova 2018
Jazzanova 2018
Bei Jazzanova gibt es immer einen großen Erklärungsbedarf: “Die ganze Zeit muss man den Leuten erklären, was da jetzt eigentlich der Sinn dahinter ist”, sagt Alexander Barck, einer der DJs von Jazzanova, mit einem ironischen Grinsen. “Manchmal ist das komisch für uns, weil wir uns selbst gar nicht diese Gedanken machen. Wir lieben Musik, hören sehr viel Musik – alt, neu – und machen gern Musik. Und das ist es. Ein spielerisches Umgehen damit”.

Klingt plausibel, ist aber stark untertrieben. Denn das sechsköpfige Clubkollektiv gehört weltweit zu den gefeierten Innovatoren im Dancefloor, im NuJazz, Broken Beat, im modernen Folk und Soul. Rund um den Globus beten DJs und Vinylfreaks Jazzanova an. Ihre Remixe für Masters At Work, Fat Freddys Drop, 4hero oder Ursula Rucker sind Kleinode. Aber auch für so verschiedene Künstler wie Lenny Kravitz, Common, Azymuth oder Calexico haben die sechs Berliner gerne das Kunststück gezeigt, unterschiedlichstes Ausgangsmaterial mit Respekt zu behandeln und dabei allem eine unverkennbare Jazzanova Sound-Signatur zu geben.
Ihr Mentor, der englische Top A&R, Radiomacher und Labelgründer von Talkin Loud, Gilles Peterson, hatte es sofort erkannt und kontaktierte die Jungs direkt nach ihrer ersten Veröffentlichung, um einen Remix für die japanische United Future Organisation zu bekommen. Schon kurze Zeit später waren Jazzanova für Jahre “ausgebucht” und eroberten mit ihren Produktionen und Remixen die Dancefloors der Welt und vor allem die Herzen ihrer Zuhörer.

Die Fähigkeit, Musik verschiedener Stile auf einen Nenner zu bringen und ihr enormer Aufwand und Einsatz, die Möglichkeiten auszuloten und umzusetzen wird nicht nur sehr in der internationalen Musikwelt respektiert, sondern treibt sie auch immer an, einen Schritt voraus zu gehen.

Dabei ist ihre Musik authentisch und funktioniert “ebenso auf dem Montreux Jazz Festival wie auch im illegalen Kellerclub des Cousins deiner Freundin”, schrieb WaS-Kulturredakteur Cornelius Tittel. Wo andere Produzenten acht Pseudonyme haben, mit denen sie jeweils in dieselbe stilistische Kerbe hauen, bringen die sechs Berliner immer als “Jazzanova” einen achtbaren, außerweltlichen, unberechenbaren Stilmix heraus.

“Berechnung spielt in diesem Prozess keine Rolle”, betont Stefan Leisering. Es interessiert nicht, in welchem aktuellen Genre-Zusammenhang die Musik steht, mit der man sich gerade beschäftigt, was das gerade für einen Hipness-Faktor hat. Der Weg, die Entwicklung seien das Ziel. Es mache Spaß, “auf der Suche nach dem ‘perfekten’ Sound an ganz vielen verschiedenen Stationen vorbeizukommen und die Leute daran teilhaben zu lassen”.

“Unsere Musik kann die Leute mit auf eine Reise nehmen”, sagt Alexander Barck. “Wenn wir es schaffen, sie damit zu faszinieren, wenn wir Menschen, die, sagen wir, brasilianische Musik nicht mögen (oder das zumindest dachten) dazu kriegen, zu einem Brasil-Track zu tanzen, wenn die sagen: ‘noch nie gehört, aber Wahnsinn, ist jetzt meine Lieblingsmusik’ – das sind die schönen Momente in einer Produktion oder in einem DJ-Set.”

Diesen Enthusiasmus, diese selbstbewusste Unbefangenheit, gepaart mit professioneller Ethik hört man sofort auf Jazzanovas neuem, zweiten Studioalbum “Of All The Things” heraus. Es fällt sofort auf, dass Jazzanova wieder mit verschiedenen Stimmen gearbeitet haben und die Mehrzahl männlich ist:

Leon Ware (Soul-Legende und Writer/Producer von Marvin Gayes Album “I Want You”) covert – gemeinsam mit Dwele (Solist für Common und Kanye West) – einen eigenen Song von 1981.

Mit Phonte (Rapper der US Hip-Hop-Band Little Brother), kommen Jazzanova zurück zu ihren Hip Hop-Wurzeln.

Der Detroiter Paul Randolph, der Londoner Ben Westbeech und José James aus Minneapolis – letztere brachten beide unlängst ihre Debütalben auf Gilles Petersons Brownswood-Label heraus – oder Dallas (von den Neuseeländern Fat Freddys Drop) sind mit dabei.

“Dass es so viele Männer geworden sind, ist eigentlich eher ein Zufall”, sagt Claas Brieler, “aber alles klingt richtig”.

Die Liste an Musikern, die für dieses Album aufgenommen wurden, ist so umfangreich, dass man sie nicht aufzählen könnte. Man denke sich nur, dass Jazzanova in den letzten Jahren allein als DJs wohl mindestens 80 Mal um die Welt gefahren sind und dabei von jeder Reise einen Musiker mitgebracht haben.

“Für uns sind es zunächst einmal die Komposition, die Planung der Songs und die Produktion der Instrumentals, die das in sich verbundene Album-Werk ausmachen. Wenn wir dann mit den Stimmen arbeiten, wählen wir sie natürlich gezielt aus und platzieren sie genau so, wie sie in unsere Vision passen. Wir fügen sie als Elemente in unser Bild ein. Dieses Gesamtbild ist das Album. Eine gesamte, zusammenhängende Geschichte. Und so, wie Instrumentierungen und Stile verschieden sind, sind es eben auch die Sänger. Aber das sind wir – und den Zusammenhang kann man hören”, sagt Axel Reinemer.

Überhaupt hört, spürt und fühlt man viel beim Durchhören dieser Musik! Es ist viel Soul, die Musik ist lebendig und deep zugleich. Jazzanova haben dieses Album genutzt, um sich und ihre Musik in Songs auszudrücken. Wer ihren Weg verfolgt hat, weiß, dass ihr Interesse an Songs im Verhältnis zu Dancefloor-orientierten Produktionen immer weiter gewachsen ist. Schon ihr erstes Album, der Genreklassiker “In Between” von 2002 hatte die Sample- und Beatspezialisten mit höchsten Ambitionen auf die Bühne berufen. Zuletzt hatte ihre Produktion für das Musical “Belle et Fou” in 2006 angekündigt, dass Jazzanova sich für ihr nächstes Album viel vornehmen würden.

Songs und umfangreiche Aufnahmen von Instrumenten standen auf dem Plan. Was sie allerdings mit “Of All The Things” abliefern, sprengt hinsichtlich der gesamten Produktion den bekannten Rahmen. Mit solch einem Set-Up wären wahrscheinlich auch Frank Sinatra oder James Brown zufrieden gewesen. Allein für “Let Me Show Ya” wurden zwölf Streicher, viele weitere Instrumente und ein Hintergrund-Chor mit acht Stimmen aufgenommen. “Der Hintergrundchor ist leise, aber man spürt die Kraft, und deshalb betreiben wir diesen Aufwand”, sagt Axel Reinemer.

Und dabei ist ein großer internationaler Sound entstanden; es passiert eine Menge Musik! Über das ganze Album gesehen arbeiten Jazzanova reichhaltig mit Ideen, Soundschichten- und Ebenen. Im Gegensatz zu Früher haben Jazzanova auf diesem Album kaum mit Samples gearbeitet. Die Beats kommen aus dem Rechner, aber fast alles andere ist live aufgenommen. Hatten sie auf “In Between” noch dutzende Vinyl-Samples verarbeitet, um ihre Soundvision umzusetzen, so geschieht das jetzt mit Musikern und eigenen Einspielungen.

“Unsere Herangehensweise ist heute anders”, sagt Axel Reinemer. “Früher haben wir viele Samples genutzt, um unsere eigenen Soundwelten zu kreieren. Dieselbe Richtung verfolgen wir noch immer. Das hatte auch mit Samples schon viel Soul. Aber heute schaffen wir uns unsere Soundwelten durch eigene, neue Aufnahmen mit Instrumentalisten. Wir können mit diesen Live-Aufnahmen unsere Songs besser und flexibler umsetzen. Wir haben mehr Spielräume, weil Samples eine festgelegte harmonische Umgebung haben”.

“Aber natürlich haben Samples auch viele tolle Eigenschaften”, sagt Claas Brieler. “Zum Beispiel etwa den speziellen Klang aus einer anderen Zeit und mit anderem Equipment. Aber die Live-Aufnahme ermöglicht es uns, viel bessere Arrangements für uns und unsere Songs zu machen. Das heißt trotzdem, dass es immer wieder interessant sein kann, mit Samples zu arbeiten. Und deshalb haben wir das auch auf diesem Album gemacht.”

“Wir gehen eigentlich dahin, unsere eigenen Samples zu produzieren”, sagt Jürgen von Knoblauch. “Von ‘Let Me Show Ya’ haben wir die Soundwelt zerpflückt (und uns selbst gesampled) um dann ‘So Far From Home’ mit Phonte daraus zu machen. Speziell das Ende haben wir beim Komponieren, Arrangieren und bei den Recordings schon so angelegt, dass wir es hinterher samplen können. Als Sample konnten wir es dann unseren Bedürfnissen genau anpassen, weil wir ja auf alle Teile separat zugreifen können”. Am Ende – sonst wären Jazzanova nicht Jazzanova – wurden die zig so entstandenen Versionen und Teile auseinander genommen und wie ein Puzzle wieder zusammengesetzt. Das war akribisch und extrem zeitaufwendig. “Wir haben mit dieser Arbeitsweise die Grenzen eingerissen”, sagt Stefan Leisering. “Unser Ziel war nicht minimal sondern maximal”.

Im Gegensatz zu früher entstanden die Aufnahmen und Produktion auf vielen analogen Geräten. “Natürlich nutzen wir viel digitale Technik, aber den Sound, den wir suchen, finden wir vor allem mit analogen Geräten”, sagt Axel Reinemer. Und dazu stellen sich Jazzanova auch gerne einige Tonnen an Mischpult oder Bandmaschinen ins Studio, die natürlich von weit her organisiert werden müssen.

Ihr Aufwand ist gewaltig, aber man hört bei allem den Spaß, mit dem diese unverwechselbare Musik entstanden sein muss. Man geht gerne mit, wenn sich die vollen Harmonien mit seidigen Streichern und Stimmen gepaart über satte Beats und Bässe legen. Es ist ihnen gelungen, Songs zu komponieren, die mitreißen können und die durch versierte Arrangements und vielschichtige Soundebenen begeistern.

“DJs und Produzenten haben meistens etwas Anonymes, sind nicht als Künstler erkennbar.” Und so eine persönliche Handschrift ist wichtig, bei der Flut an neuer Musik, die jede Woche wieder über einen hereinbricht.
Darauf angesprochen, ob sie nach den vielen erfolgreichen Jahren nun erwachsener geworden seien und sich mit diesem Album vielleicht auch etwas aus dem Clubleben zurückziehen wollen, antworten alle eindeutig mit der Frage: Was versteht man eigentlich unter Clubmusik? “Wir sehen uns natürlich weiterhin auch im Clubkontext, weil es uns einfach Spaß macht” sagt Alexander Barck. “Aber unser nächstes Ziel ist die Live-Umsetzung unserer Musik und dieses Albums.” Und klar, die Songs vom Album funktionieren natürlich auch im Club. “Soul und Hip-Hop ist ja gerade Musik zum Tanzen”, sagt Stefan Leisering. “Logisch ist ‘Little Bird’ kein Club-Song, aber wir wollten ja auch kein Dance Album machen.” “Wenn du eigene Songs schreibst, kommst du auf ein größeres Repertoire. Von vornherein mit Live-Instrumenten aufzunehmen, war der nächste wichtige Schritt.”
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