Roy Hargrove | News | Ewiger Grenzgänger des Jazz – zum Tod von Roy Hargrove

Ewiger Grenzgänger des Jazz – zum Tod von Roy Hargrove

Über zwanzig Jahre hinweg galt Roy Hargrove als einer der besten Trompeter seiner Generation. Jetzt ist der gebürtige Texaner im Alter von nur 49 Jahren überraschend verstorben.
Roy Hargrove
Roy HargroveAndrea Boccalini
06.11.2018
Jazzkritiker lieben es, neue Talente in Schablonen zu pressen. Als Trompeter Roy Hargrove Ende der 1980er Jahre auf die Szene stürmte, wurde er schnell als “der neue Wynton Marsalis” gepriesen. Die Etikettierung kam freilich nicht ganz von ungefähr: schließlich hatte der Guru der Neotraditionalisten den 17-jährigen Roy 1987 an der Booker T. Washington High School in Fort Worth/Texas entdeckt und für ein erstes musikalisches Kräftemessen zu sich auf die Bühne geholt.
Die ersten Alben, die Hargrove wenig später für Novus Records aufzunehmen begann, schienen dann auch den Eindruck zu bestätigen, dass hier ein neuer “Young Lion” geboren worden war: auf ihnen glänzte der junge Trompeter vornehmlich mit Hardbop und Bebop der traditionellen Schule, wenngleich er die Klassiker dieser Genres bereits damals mit seinen eigenen Stücken mischte. In der Village Voice jubelte der bekannte Kritiker Gary Giddins: “Hargrove ist der beste Jazztrompeter seit Wynton Marsalis und der aufregendste seit Freddie Hubbard.” Doch schon bald machte Hargrove durch eine Vielzahl von Seitensprüngen deutlich, dass ihm das enge Korsett nicht so recht passte und er einen eigenen Weg verfolgen wollte. Auf Platten von Diana Ross, Steve Coleman & The Five Elements und Buckshot LeFonque (a.k.a. Branford Marsalis) streckte er seine Fühler in musikalische Richtungen aus, die dem Image des Neotraditionalisten zuwiderliefen.
Einen riesigen Karrieresprung machte Hargrove 1993, als er einen Plattenvertrag bei Verve Records erhielt, wo er neben Herbie Hancock, Wayne Shorter, Joe Henderson und Shirley Horn zu einem der Stars des Labels aufstieg. Bis zum Ende der Dekade legte er dort ein brillantes Album nach dem anderen vor: “With The Tenors Of Our Time” (1994, mit u.a. Johnny Griffin, Joe Henderson, Branford Marsalis, Joshua Redman und Stanley Turrentine), “Family” (1995, mit Wynton Marsalis), “Parker’s Mood” (1996, mit Christian McBride und Stephen Scott) und das mit Streichern aufgenommene Balladen-Opus “Moment To Moment” (1999). Ein besonderes Highlight war in dieser Phase das von kubanischer Musik inspirierte Album “Habana”, für das Hargrove 1997 seinen ersten Grammy erhielt. Ein zweiter folgte 2003 für “Directions In Music: Live At Massey Hall”, eine mit Herbie Hancock und Michael Brecker aufgenommene Hommage an Miles Davis und John Coltrane.
Ins neue Millennium startete der Trompeter, indem er sich in musikalische Projekte von anderen Künstlern einbrachte: zu hören war er u.a. auf Alben des Rappers Common, der Neo-Soul-Diva Erykah Badu (die er aus seiner High School kannte), des R&-B-Stars D’Angelo, des Singer/Songwriters John Mayer und Natalie Cole. Die Aufnahmen boten teilweise einen Vorgeschmack auf sein eigenes Projekt RH Factor, mit dem er – das Robert Glasper Experiment vorwegnehmend – auf den Alben “Hard Groove” (2003), “Strength” (2004) und “Distractions” (2006) eine Brücke zwischen Jazz, Hip-Hop, Neo-Soul und Rhythm’n'Blues schlug.
Dass er dem lupenreinen Jazz nicht ganz abtrünnig geworden war, bewies der Trompeter auf den beiden Quintett-Alben “Nothing Serious” (2006) und “Earfood” (2008), auf denen er sich wieder der Pflege des Hardbop- und Bebop-Erbes widmete. 2009 erschien mit “Emergence” schließlich Hargroves letztes Album unter eigenem Namen, das der Trompeter mit einer Bigband eingespielt hatte. Danach wirkte er zwar noch an Alben von u.a. Marcus Miller, Angélique Kidjó, Roy Haynes und D’Angelo mit, veröffentlichte aber aus unerfindlichen Gründen keine eigenen mehr.
Jetzt ist Roy Hargrove, der seit einigen Jahren an einer Nierenerkrankung litt, am 2. November im Alter von nur 49 Jahren in New York an Herzversagen gestorben. In Erinnerung behalten wird ihn die Jazzwelt so, wie ihn Doug Ramsey 1996 im Texas Monthly beschrieb: “Schmächtig und übermütig, mit der Wachsamkeit und Koordination eines Superfliegengewichts-Boxers, hat er als Improvisator große Stärken gezeigt: eine Fähigkeit, Emotionen zu vermitteln, ein leidenschaftliches Swing-Gefühl und ein feines Ohr für harmonische Möglichkeiten.”
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