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Ralph Towner – Time Line

22.03.2006
Wie sein brasilianischer Labelkollege Egberto Gismonti beherrscht auch Ralph Towner gleichermaßen exzellent Gitarre und Piano und spielt darüber hinaus noch andere Instrumente. Und wie Gismonti absolvierte Towner ebenfalls eine fundierte klassische Musikausbildung, bevor er sich – inspiriert durch das Bill Evans Trio mit Scott LaFaro und Paul Motian – Ende der 60er Jahre dem Jazz zuwandt. Musikalisch beeinflußt wurde Towner, wie er sagt, außerdem durch die brasilianische Musik.
Auf seinem neuen Album “Time Line” hat er nun eine Bilanz seiner fast 40jährigen Karriere gezogen und über seine frühen musikalischen Einflüsse reflektiert. Der Einfluß Bill Evans' offenbart sich auf “Time Line” natürlich besonders deutlich in den beiden Standards “Come Rain Or Come Shine” und “My Man’s Gone Now”, die zum festen Repertoire des 1980 verstorbenen Piano-Poeten gehörten. “Im Laufe der Jahre adaptierte ich all diese Einflüsse auf meine eigene Art”, meint Ralph Towner. “Ich abstrahierte und modifizierte sie, bis die Quellen nicht mehr wiedererkennbar waren, und gelangte so, beinahe ohne es zu bemerken, zu einer ganz eigenen musikalischen Sprache.”

Sein erstes Engagement erhielt Ralph Towner 1968 in der Band des Saxophonisten Paul Winter, wo er seinen alten Studienfreund Glen Moore wiedertraf sowie Collin Walcott und Paul McCandless kennenlernte. Mit Moore, Walcott und McCandless gründete Towner 1970 das Quartett Oregon, das binnen weniger Jahre zu einem der populärsten New Jazz-Ensembles der 70er und 80er Jahre avancierte. Als der Tabla- und Sitarspieler Collin Walcott 1984 während einer Deutschland-Tournee bei einem Autounfall ums Leben kam, schien dies zunächst das Ende von Oregon zu sein. Erst drei Jahre später fand sich Oregon – mit Trilok Gurtu als Ersatz für Walcott – erneut zusammen. Letztes Jahr feierte die Band, in der nunmehr Mark Walker den Part des Perkussionisten von Gurtu übernommen hat, ihr 35jähriges Jubiläum.

Neben seinem Engagement bei Oregon war Ralph Towner aber auch immer als Solokünstler aktiv und nahm für das Label ECM (bei dem auch drei Alben von Oregon erschienen) eine Reihe von Platten unter eigenem Namen auf. Einige davon mit ebenbürtigen Partnern wie Gary Peacock, Mark Johnson, Peter Erskine, Gary Burton, Jan Garbarek oder John Abercrombie. Ein absoluter Klassiker ist das 1978 mit Eddie Gomez und Jack DeJohnette aufgenommene Meisterwerk “Batik”. Darüber hinaus präsentierte sich Towner auch schon viermal als Solist: 1973 auf seinem ECM-Debüt “Diary”, 1979 auf “Solo Concert”, 1996 auf “Ana” und zuletzt vor sechs Jahren auf “Anthem”. Mit seinem Album “Time Line”, das in einer Klosterkirche im österreichischen St. Gerold aufgenommen wurde, knüpft Towner an die Tradition dieser überaus populären Soloalben an.



Ralph Towner über die einzelnen Stücke von “Time Line”:

“The Pendant”: “Ich gebe meinen Stücken immer erst lange Zeit, nachdem ich sie geschrieben habe, einen Titel. Dann beginnen sie bei mir Assoziationen auszulösen. ‘The Pendant’ hat einen etwas nostalgischen Einschlag. Ich stellte mir eine ältere Person vor, die in einer Schublade ein Objekt findet und darüber sinniert, was dies einst bedeutet haben mag…”

“Oleander Etude”: “In Sizilien, wo ich einige Jahren lebte [Anm.: derzeit lebt Towner in Rom], sind die Autobahnen von Blumen gesäumt. Besonders häufig trifft man Oleander an. Wenn man also die Straße entlangfährt, sausen all diese wundervollen Blumen an einem vorbei, es ist ein richtiger Farbrausch. Das flotte Tempo dieses Stücks rief mir diese Eindrücke wieder in Erinnerung.”

“Always by Your Side”: “Dieses Stück habe ich schon vor langer Zeit komponiert, für eine Produktion von Shakespeares ‘Der Sturm’ – zu dem es allerdings überhaupt nicht paßte. Im Nachhinein betrachtet, hätte diese Musik wohl eher zu einem Off-Broadway-Stück gepaßt. Es ist eine Ballade mit liedähnlicher Qualität, die fast so klingt, als ob man sie jemandem vorsingen würde. Ich spiele das Stück bevorzugt rhythmisch frei.”

“The Hollows”: “Hier gibt es überhaupt keine Improvisation. Es ist ein strikt ausgeschriebenes ‘klassisches’ Stück mit einem interessanten harmonischen Konzept. Die Musik suggerierte einen ziemlich mysteriösen Ort, weshalb ich das Stück ‘The Hollows’ betitelte.”

“Anniversary Song”: “Ein Stück, das für mich eine persönliche Bedeutung hat. Ich habe es in Catania an der sizilianischen Ostküste geschrieben. Es war ein Geburtstagsgeschenk für meine Frau (die Schauspielerin Mariella Lo Sardo), die dort mit einem Theaterstück gastierte.”

“If”: “Dieser Song hat einen fast schon syllogistischen Touch. Er scheint in Phrasen wie ‘Wenn es der Fall ist, daß dies und jenes zutrifft, dann folgt daraus auch, daß…’ zu verfallen. Ein Frage-und-Antwort-Stück, das sich eigenartig vorwärtsbewegt, besonders in der Improvisation, die in einem kaum wahrnehmbaren 5/4-Takt tanzt.”

“Five Glimpses”: “Dies sind fünf kurze Improvisationen. Wenn ich mit Produzent Manfred Eicher im Aufnahmestudio bin, erreichen wir meist einen Punkt, an dem wir den Rahmen eines ganzen Albums schon abgesteckt haben. Wir wissen dann, daß wir an diesem Punkt die Dichte der Platte ändern müssen. Ich spielte diese fragmentarischen Sücke und nannte sie ‘Einblicke’. Ich spielte eine ganze Reihe von ihnen, alles komplett improvisierte kleine lineare Stücke. Daraus wählten wir schließlich einige aus und Manfred brachte sie in eine Reihenfolge. Sie sind so aneinandergeknüpft, daß sie wie ein komplettes Stück klingen.”

“The Lizards Of Eraclea”: "Ein Stück, das sehr lebhaft, verstohlen und hastig klingt. Ich begann es während eines Urlaubs an der sizilianischen Südküste zu schreiben, an einem Ort, an dem es von wie verrückt umherflitzenden Eidechsen nur so wimmelte. Aber ich glaube, ich wurde gar nicht mal so direkt von den Eidechsen dazu inspiriert. Zu den Fähigkeiten eines gereiften Komponisten zählt, daß er erkennt, wenn er einen Keim zu einer musikalischen Idee gefunden hat, oder einen Kern, aus dem er ein Stück entwickeln kann. Nicht alles, was einem einfällt, ist ausbaufähig. Musikalische Motive können einem zu jeder Zeit und an jedem Ort in den Sinn kommen. Aber Musik zu schreiben ist für mich im Grunde eine innere Erfahrung.