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Nik Bärtsch’s Ronin – Stoa

08.03.2006
Kurz nachdem die Süddeutsche Zeitung im November 2004 schrieb, Nik Bärtsch mache “küchenkompatible Avantgardemusik” und sähe aus wie “Foucault als DJ”, bekam der Schweizer Pianist Tausende von E-Mails mit CD-Bestellungen auf seine Webseite. Allein die Beschreibung seiner Musik brach Dämme, Bärtschs minimale repetitive Funk-Analogien aus Zürich schienen schlummernde Bedürfnisse geweckt zu haben. Nachdem Bärtsch in Eigenregie bereits ein halbes Dutzend CDs mit seinen “Modulen” veröffentlichte, erscheint im März “Stoa”, sein Debüt auf ECM.
Auf ihm schöpft Nik Bärtsch gleichermaßen aus der Klarheit, Direktheit, dem Einfachen im Pop, der Kreativität, dem Moment, dem Entwickelnden im Jazz, und der Hingabe an die Interpretation, die Struktur, die Form der Klassik. Es ist nicht die Improvisation, die ihn interessiert, sondern das Befragen und Neubetrachten des ständig Wiederkehrenden, die Bewegung des Alltags. Seine Musikstücke können wie Räume betreten werden. Innerhalb ihrer Statik transformieren sie sich durch Polyrhythmen, ungerade Takte, zirkuläre Bewegungen und Mikrophrasierung.

Nik Bärtsch, 33, ist ein Pianist und Komponist aus Zürich. Er fing mit Jazz und Blues an, absolvierte in Zürich eine klassische Pianistenausbildung und wirkte als Sideman in verschiedenen lokalen Bands mit. Danach studierte er Philosophie und reduzierte im Zuge dessen radikal seine Plattensammlung auf 20 Titel von Bach, Strawinsky, dessen Schüler Morton Feldman, Thelonious Monk, Steve Reich und James Brown. Neben seiner solistischen Arbeit gründete Bärtsch zwei Ensembles: Sein Quartett Ronin, besetzt mit E-Bass, Schlagzeug, Perkussion und Piano/Fender-Rhodes, mit dem er das nun vorliegende neue Album einspielte, und das stillere, klassischere Quartett Mobile. Bereits 2003 gelangten einige CDs von Bärtsch auf Manfred Eichers Schreibtisch, der im Sommer jenes Jahres ein Treffen organisierte, bei dem es zu einem spannenden Gespräch kam. Dann passierte eine Weile nichts. Bärtsch ging für ein halbes Jahr nach Japan, den Aufenthalt finanzierte ein Stipendium der Stadt Zürich.

Lange zuvor schon hatte ihn die japanische Kultur fasziniert: die Filme von Akira Kurosawa (“Ran”) oder die strukturelle Ästhetik des Zen-Buddhismus. Bärtsch hat nicht nur in seinem Aussehen, sondern auch in seinem Wesen etwas vom Zen-Mönch oder Aikido-Adepten. Das Praktische, Pragmatische, den ständigen Bezug zur Kampfkunst dieser Kultur übersetzt er in seine Kompositionen. “Was ich spannend an Zen finde, ist die Konzentration auf das Wenige, die Mischung aus hohem strukturellen Bewußtsein, langer Übung und dem Weglassen.” Das hohe Bewußtsein und die einfache Praxis. Kopf und Bauch kommen zusammen, der Instinkt bestimmt.

Bärtschs Musik, etwas plakativ bereits als “Zen-Funk” oder gar “Minimal-Ritual-Zen-Groove-Funk” beschrieben, klingt dementsprechend zunächst auch durchgehend einfach, zwischendurch groovt und süffisiert es, aber darunter befindet sich eine intelligente Struktur, die die Musiker und den interessierten Hörer herausfordert. “Ich habe durch diese Praktiken gelernt, pragmatisch zu arbeiten ohne großes visionäres Tam-Tam zu machen, sondern konzentriere mich auf den Alltag”, beschreibt Bärtsch. “Das ist auch für mich das Interessante an der Repetition. Ich suche nicht den Ausbruch aus dem Alltag, Musik als etwas Spezielles, mich interessiert das Normale, das tägliche Zähne putzen. Daß man darin eine Achtsamkeit entwickelt, die einem plötzlich eine unglaubliche Tiefe eröffnet.” In jener “Ekstase durch Askese” destilliert er Musik, “aus dem universellen Klang der Städte”. Doch die Stadt in ihrer Vielfalt von Illusionen fordert die Fähigkeit zu fokussieren.

Bärtsch verfolgt eine Arbeitsweise, die er selbst als Modul-Ritual beschreibt: Es gibt bei den Aufnahmen seiner Ensembles keine Loops oder Overdubs, Bärtsch arbeitet mit auskomponierten Bausteinen oder Modulen (Lexikon: austauschbares, komplexes Teil eines Geräts, das eine geschlossene Funktionseinheit bildet), die er mit seinen wie Organismen arbeitenden Ensembles belebt. Diese Module werden dann selbst zum Organismus, zum Habitat, zum Raum. “Bei repetitiver Musik entsteht etwas Räumliches”, beschreibt er. “Man kann sich plötzlich in einem Musikstück bewegen, man wird nicht vom Sog der sich entwickelnden Musik an der Hand genommen und nach vorn gezogen, sondern kann das Stück betreten, dort herumgehen und wohnen. Das erlaubt einen anderen Fokus auf die Unterschiede innerhalb des Gleichen.”

Ebenso wie seine Musik, sind auch die Ensembles von Bärtsch organisch zusammengewachsen, die Mitglieder haben engen Kontakt untereinander, Nik spielt mit Kaspar Rast, dem Schlagzeuger, seit dem achten Lebensjahr. “Für die marktwirtschaftlichen Verhältnisse, denen wir ausgesetzt sind, haben wir sehr engen Kontakt. Es ist ganz schwierig, Leute über längere Zeit zusammen zu halten, aber man muß sozial investieren, sonst passiert nichts in der Musik.”

“Stoa”, die neue CD entstand in einem abgelegenen Studio in der Provence. Manfred Eicher hatte Bärtsch und seine Band Ronin dorthin eingeladen, unter anderem auch wegen eines dort stehenden exzellenten Flügels. “Zuvor hatten wir unsere Stücke relativ guerrillamäßig produziert”, rekapituliert Bärtsch. “In La Buissonne hatten wir eine sehr konzentrierte Zeit, weg von Zuhause. Wir waren gut vorbereitet, das Album haben wir in zwei Tagen aufgenommen, gewisse Stücke im ersten Take, und es gab auch hier keine Overdubs. Manfred Eicher hat die Sessions auf eine sehr interessante Weise belebt, er hat immer gespürt, wo Eingreifen sinnvoll ist, weil ja auch wir eine klare Vorstellung von dem haben, was wir machen. Wir haben ja den Prozeß, das Überflüssige wegzuschmeißen, schon vorher durchlaufen, auf den Tourneen und Club-Gigs zuvor. Das Material ist schon sehr reif gewesen, als wir damit ins Studio gingen, und das hat er natürlich gespürt und hat trotzdem bestimmte Sachen gesagt. Dieser Tanz mit dem Produzenten war für uns fantastisch, es hätte anders laufen können, ein absoluter Glücksfall.”

Kein anderes Label hätte ihrer Ästhetik entsprochen. Die Verbindung mit ECM etablierte sich dabei über eine jahrelange Zeitspanne: “Der Kontakt war weder umtriebig noch gestreßt, wir haben alles in aller Ruhe erörtert und dann mußte es irgendwann glücken. Wir haben uns mit dieser Mischung aus bewußter Planung und Momentum selbst überlistet, und das hört man auch auf der Studioaufnahme”, findet Bärtsch. “Kurz davor waren wir auf einer etwas abenteuerlichen, turbulenten Rußlandtournee, kurios im guten Sinne. Vielleicht auch deswegen haben wir in La Buissonne mehr gemacht als nur das, was wir sowieso schon können.”

So glücklich Bärtsch über sein ECM-Debüt ist, so sehr ist ihm bewußt, wie dadurch seine Ansprüche an sich selbst gestiegen sind. “Wenn Musik plötzlich mehr Resonanz auslöst, und da sind wir wieder beim Thema Alltag, wird es schwerer, mit dieser Resonanz in Verbindung zu bleiben. Unsere Musik existiert dadurch, daß sich Menschen dafür interessieren. Und wenn das eventuell größer wird, fragst du dich: Wie bringe ich mein Üben, Komponieren, das Organisieren, diese Strukturen zusammen. Wenn man immer mehr Jobs bekommt, Tausende von E-Mails erhält, muß man sich mehr überlegen, was einem wichtig ist, wie man das behandelt, wie man Verbindlichkeit, Integrität und Klarheit zusammenbringt. Das fördert wieder die Wachheit. Ich finde immer wichtig, was die größere Community zu etwas meint”, betont Bärtsch. “Wenn kein Interesse für eine Musik besteht, muß man sich als Mensch, der das kreiert hat, fragen, was da in der Kommunikation nicht stimmt, im Code von dem, was man da macht. Dabei geht es überhaupt nicht darum, auf das Publikum zu schielen, sondern darum, daß man respektiert, was an Resonanz zurückkommt. Man löst ja immer Schwingungen aus, schon ganz praktisch durchs Spielen, aber sowieso auch, weil man etwas tut, egal in welchem Bereich man arbeitet und lebt. Und dann kommt etwas zurück und das sollte man respektieren, das ist genau so wichtig wie das, was man aussendet. Das sind Netzwerke, und um die geht es, nicht darum, sich im Kreise zu drehen, in einer kleinen Community zu verweilen und stolz zu behaupten: Wir sind die Avantgarde. Das hat keine Relevanz, bringt keine Resonanz.”
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