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Mathias Eick schlägt familiäre Töne an

Für sein viertes ECM-Album “Ravensburg” ließ sich der norwegische Trompeter Mathias Eick, der hier auch als Vokalist debütiert, von seinem Familien- und Freundeskreis inspirieren.
Mathias Eick
Mathias EickColin Eick / ECM Records
28.02.2018
Auf seinem letzten Album “Midwest” hatte sich Trompeter Mathias Eick mit dem Exodus von Hunderttausenden seiner Landsleute auseinandergesetzt, die im 19. Jahrhundert aus Norwegen in die weiten Ebenen des Mittleren Westens der USA gezogen waren. Diesmal begibt er sich auf eine noch persönlichere Spurensuche. Denn für die Kompositionen von “Ravensburg” ließ sich Eick von seinem eigenen Familien- und Freundeskreis inspirieren. Die Kompositionen – mit schlichten Titeln wie “Family”, “Friends”, “Parents”, “Girlfriend” und “For My Grandmothers” – fügen sich zu einer Art kollektivem Porträt zusammen. Zu Eicks erweitertem Familienkreis gehören natürlich auch die Musiker, mit denen er tourt und im Studio arbeitet: “Wir sprechen all die emotionalen Situationen an, die wir auf der Bühne erleben, auf der wir uns meistens herumtreiben. Denn die ist unser Zuhause.” Die Musik mit ihren stark melodischen Themen und improvisatorischen Wechselspielen gibt Eindrücke von Beziehungen, Dialogen, Sehnsüchten, Spielen und Reisen wider. Der norwegische Trompeter hat auch deutsche Vorfahren. Eine Großmutter stammt aus Ravensburg, der historischen schwäbischen Stadt, nach der das Album betitelt ist. Ravensburger Puzzles – “3.000 Teile, 5.000 Teile… ein bisschen überwältigend” – waren  bei den Weihnachtsfeiern der Eick-Familie dementsprechend ein zweifelhafter Segen.
“Der Arbeitstitel des Albums war ‘Family’”, sagt Mathias Eick. “Aber nachdem mir bewusst geworden war, wieviele Alben es mit diesem Titel bereits gibt, musste ich ihn einfach ändern. Mein Ausgangspunkt war auf jeden Fall der Wunsch, energiegeladene rhythmische Kompositionen zu erschaffen, bei denen ich Helge Andreas Norbakken und Torstein Lofthus als zwei starke Persönlichkeiten in der Familie einsetzen konnte. Auf dem Papier ist Helge ‘ein Schlagzeuger’, aber in Wirklichkeit ist er ein einzigartiger Musiker mit einem sehr persönlichen Spielansatz. Sein Schlagzeugset sieht nicht gerade wie ein normales Set aus, und die Klänge, die er aus ihm herausholt, sind vollkommen seine eigenen. Ich gab ihm und Torstein überhaupt keine Anweisungen, wie sie interagieren oder zusammenspielen sollten, weil ich mir dachte, dass sie das wunderbar untereinander ausmachen würden, obwohl sie hier zum ersten Mal aufeinandertreffen. Torstein verfügt über eine makellose Time und einen Beat, der eine Band wirklich antreiben kann. Meine Idee war also, ihm – um beim Bild von Familie und Freunden zu bleiben – sozusagen einen Spielkameraden zu geben. Ich habe nicht versucht, das Schlagzeugspiel wuchtiger oder lauter klingen zu lassen, sondern wollte mehr Dreidimensionalität. Durch viele Interaktionen und Schattierungen. 
Tatsächlich ähnelt das, was im Rhythmus-Bereich passiert, sehr dem, was zwischen Håkon und mir abläuft, wo wir vergleichbare Schattierungen, Konversationen und Call-and–Response haben.”
Eines besonderes Vergnügen des “Midwest”-Albums war, zu hören wie sich der strahlende, überwölbende Klang von Mathias Eicks Trompete mit dem von Gjermund Larsens Violine vereinte; diese besonders stimmungsvolle Instrumentalkombination wurde auf “Ravensburg” noch tiefer ausgelotet. Håkon Aase, der neue Violinist in Eicks Ensemble, ist einer der aufstrebenden Musiker der norwegischen Szene. Aufmerksame ECM-Hörer dürften ihn bereits durch Thomas Strønens Band Time Is A Blind Guide kennen. Zuletzt arbeitete er auch mit Mette Henriette. Bei Live-Auftritten spielt Aase schon seit drei Jahren mit Eick. “Gjermund hat auf ‘Midwest’ einen tollen Job gemacht, aber das Album war auch mehr folkorientiert. Für ‘Ravensburg’ brauchte ich jemanden, der sich ein wenig im Folk auskennt, darüber hinaus aber auch ein Gespür für Jazz und zeitgenössische Improvisation besitzt. Håkon, der erst 22 Jahre alt war, als er bei uns einstieg, reflektiert all dies in seinem Spiel – und er hat sich wirklich als Idealbesetzuung für die Band herausgestellt. Er hat ein unglaubliches Ohr, und ich bin sehr zufrieden mit dem Interaktionslevel, das wir auf diesem Album erreicht haben.”
Bassist Audun Erlien ist, wie Pianist Andreas Ulvo und Schlagzeuger Torstein Lofthus, ein langjähriges Mitglied der Band, mit der Eick zu touren pflegt. Alle drei waren 2009/2010 an der Einspielung von “Skala” beteiligt, Erlien sogar an Mathias Eicks ECM-Debütalbum “The Door” (und noch früher an Nils Pettter Molværs “Solid Ether”). “Für einen E-Bassisten hat Audun einen sehr warmen Sound. Mit seinem Background im Soul und Rhythm’n'Blues sowie seinem echten Verständnis des Jazz und des improvisierten Universums bereichert er die Band immens.” Andreas Ulvo wiederum “vertieft und verfeinert ständig seinen musikalischen Ausdruck, hat seine Stärken sowohl im rhythmischen Spiel als auch im improvisatorischen Solo. Natürlich sind es zwei verschiedene Dinge live und im Studio zu spielen: wenn wir dieses Material in Konzerten spielen, beflügeln uns Andreas' lange Intros oft zu neuen kreativen Ideen.”
Neben den zentralen Themenschwerpunkten des Albums gibt es auch noch ein übergreifendes Thema. Auf all seinen bisherigen ECM-Alben präsentierte der Trompeter Kompositionen, die nach Monaten benannt sind. Auf “The Door” begann er diesen Klangkalender mit “October” und “December”, setzte ihn dann auf “Skala” mit “June” und später auf “Midwest” mit “March” und “November” fort. Auf “Ravensburg” fügt er der Liste nun “August” hinzu. Das Stück ist außerdem eine von mehreren Nummern, bei denen Eick seine Stimme einsetzt. Es ist für ihn ein neuer Schritt. “Ich singe zu Hause jeden Abend mit meinen Kindern. Dann fing ich an, auch zu singen, während ich Musik machte. Da ich die Trompete immer als Erweiterung meiner Stimme betrachtet habe, schien es mir an der Zeit zu sein, meine Stimme endlich direkt zu benutzen…”
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