John Scofield | News | Dylan, Young, Grateful Dead & All That Jazz - Trio mit improvisatorischer Verve

Dylan, Young, Grateful Dead & All That Jazz – Trio mit improvisatorischer Verve

Auf dem Doppelalbum “Uncle John’s Band” sprudeln Gitarrist John Scofield und seine Trio-Partner Vicente Archer (Bass) und Bill Stewart (Drums) vor Spielfreude geradezu über.
Vicente Archer, John Scofield, Bill Stewart
Vicente Archer, John Scofield, Bill Stewart Nick Suttle / ECM Records
12.10.2023
Dass John Scofield ein meisterhafter Gitarrist ist, der stilistisch mit so ziemlich allen erdenklichen Wassern gewaschen ist, weiß man schon seit langem. Aber so abenteuerlustig und ungebunden wie auf “Uncle John’s Band” erlebt man auch ihn nicht alle Tage. Seinen Titel verdankt das abwechslungsreiche Doppelalbum dem Grateful-Dead-Klassiker, mit dem es ausklingt. Gemeinsam mit seinen aktuellen Trio-Gefährten – Bassist Vicente Archer und Schlagzeuger Bill Stewart – rückt Scofied hier einem breitgefächerten Repertoire zu Leibe. Es reicht von Bob Dylans “Mr Tambourine Man” und Neil Youngs “Old Man” über Leonard Bernsteins “Somewhere” und Miles Davis’ “Birth of the Cool”-Klassiker “Budo” bis hin zu Jazzstandards wie “Stairway to the Stars” und “Ray’s Idea”.
Darunter gemischt sind sieben Scofield-Originale, die wechselweise einen Swing-, Funk- oder Folk-Einschlag haben. Der rote Faden, der sich durch dieses Programm zieht, ist die improvisatorische Verve des Trios. “Ich habe das Gefühl, dass wir zusammen in jede Richtung gehen können”, sagt John Scofield über die Vielseitigkeit des Trios. Und den Beweis dafür erbringen sie hier dann auch.
Der Opener “Mr. Tambourine Man” zum Beispiel beginnt fast im Stile eines Raga, bevor sich das Thema – beschwingt und mit einer Country-Einfärbung- herausschält. Dann eröffnet die Improvisation dem Trio einen neuen Raum, in dem – so Scofield – “wir keiner Form folgen, sondern frei spielen” und Vicente Archer mit einem einfühlsamen Solo einen frühen Höhepunkt setzt. Von einem Moment auf den anderen greift das Trio immer wieder die Strukturen der gespielten Stücke auf, um diese dann zu dehnen und zu lockern. “Sämtliche Kompositionen sind für uns Mittel, um über sie zu improvisieren”, verriet Scofield kürzlich dem New Yorker Rockmagazin Relix. “Alle sind für mich von gleicher Bedeutung.”
Auch wenn Scofield in erster Linie als großartiger Jazzgitarrist bekannt ist – ein Status, den er durch gefeierte Zusammenarbeiten mit Größen wie Miles Davis, Charles Mingus, Gary Burton, Gerry Mulligan, Joe Henderson u.v.a. erlangte, aber auch durch die Alben mit seinen hervorragenden eigenen Bands -, so zeigte er sich doch schon immer auch anderen Stilen gegenüber aufgeschlossen. Seinen Einstieg in die Musik fand er als jugendlicher Gitarrist über Rock und Blues. Und die Qualität des direkten emotionalen Ausdrucks, die mit diesen Idiomen verbunden wird, ist ein unverwechselbarer Teil seines Sounds geblieben, ganz unabhängig davon, wie anspruchsvoll der harmonische Kontext ansonsten auch sein mag. Parallel zu seinen Jazzaktivitäten ist er seit langem ein gern gesehener Gast in der Rock-Jam-Band-Szene. Als Mitwirkender in den Bands des Grateful-Dead-Bassisten Phil Lesh hat er die Nummer “Uncle John’s Band” in den letzten zwanzig Jahren bei zahlreichen Gelegenheiten live gespielt. Die Rock and Roll Hall of Fame zählt das Stück zu den “500 Songs, die den Rock and Roll geprägt haben”.
“Uncle John’s Band” ist Scofields drittes ECM-Album als Leader. Das erste hatte er 2019 im Trio mit Steve Swallow und Bill Stewart unter dem Titel “Swallow Tales” eingespielt. Es war ganz der Musik seines langjährigen Spielpartners Steve Swallow gewidmet, mit dem er schon seit den 1970ern immer wieder zusammenarbeitet. Ihm folgte vergangenes Jahr das während des Corona-Lockdowns aufgenommene Album “John Scofield”, das den Gitarristen zum ersten Mal überhaupt ganz solo präsentierte. Darüber hinaus war Scofield bei ECM an zwei Einspielungen mit Bassist Marc Johnsons Supergruppe Bass Desires beteiligt, die neben ihm noch Bill Frisell und Peter Erskine featurete: “Bass Desires” (1985) und “Second Sight” (1987). Und auf dem Live-Doppelalbum  “Saudades” zollte er 2004 mit Jack DeJohnette und Larry Goldings als Trio Beyond der Musik von Tony Williams Lifetime Tribut.
Vicente Archer gehört zu den ausdrucksstärksten Bassisten der Gegenwart und war – wie auch Bill Stewart – schon 2018 an der Einspielung von Scofields Album “Combo 66” beteiligt. Darüber hinaus arbeitete der Bassist in den vergangenen rund 25 Jahren u.a. schon mit Kenny Garrett, Terence Blanchard, Tom Harrell, Freddie Hubbard, Louis Hayes, Curtis Fuller, Mark Whitfield, Roy Haynes, Geri Allen, Stanley Jordan, Wycliffe Gordon, Stefon Harris, Janis Siegel, Robert Glasper, Nicholas Payton und dem von Wynton Marsalis geleiteten Lincoln Center Jazz Orchestra. Im Juni 2023 veröffentlichte Archer mit “Short Stories” (Cellar Music) sein erstes Album unter eigenem Namen, auf dem er mit Bill Stewart und Gerald Clayton zu hören ist. Auf “Uncle John’s Band” gibt er nun seinen Einstand bei ECM.
Schlagzeuger Bill Stewart hat live und im Aufnahmestudio bereits mit zahllosen führenden Musikern zusammengespielt, darunter Joe Lovano, Pat Metheny, Maceo Parker, Larry Goldings, Charlie Haden, Joe Henderson, Michael Brecker, Chris Potter, Lee Konitz und Nicholas Payton. Er ist Co-Leader des beliebten Trios Goldings/Stewart/Bernstein und arbeitet seit mehr als 30 Jahren mit John Scofield zusammen. “Uncle John’s Band” ist das sechzehnte Scofield-Album, auf dem Stewart in Erscheinung tritt.  “Was Bill macht, ist mehr als nur ‘Schlagzeug spielen’”, sagte Scofield einmal. “Er ist eine melodische Stimme in der Musik, er spielt Kontrapunkt und komplementiert die Musik, während er auch wirklich hart swingt.” Das wird hier auf dem gesamten Album deutlich, nicht zuletzt aber in Scofields Eigenkomposition “How Deep”, in dem die 32-taktige Jazzform (auch als AABA-Songform bekannt) auf ein neues Niveau gehoben wird…
Am 19. Oktober beginnt das John Scofield Trio eine ausgedehnte Tournee durch ganz Europa, in deren Verlauf es auch vier Konzerte in Deutschland gibt: am 21. Oktober tritt es im Alten Speicher in Ebersberg, am 22. Oktober auf der Württembergischen Landesbühne in Esslingen, am 26. Oktober im Sendesaal des Hessischen Rundfunks in Frankfurt und schließlich am 9. November im Rahmen der Leverkusener Jazztage im Bayer Erholungshaus.