Joel Ross | News | Visionärer Vibraphonist: kammermusikalischer Jazz mit pastellfarbenen Tönen

Visionärer Vibraphonist: kammermusikalischer Jazz mit pastellfarbenen Tönen

Auf “The Parable Of The Poet”, seinem dritten Soloalbum für Blue Note, scheint Joel Ross in den Fußstapfen von Charlie Hadens legendärem Liberation Music Orchestra zu wandeln.
Joel Ross
Joel Ross(c) Lauren Desberg
17.03.2022
Dieses Album auf LP und weiteres von Blue Note finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
Mit nur 26 Jahren hat sich Joel Ross bereits den Ruf erworben, eine der originellsten Stimmen des zeitgenössischen Jazz zu besitzen. Sowohl sein 2019 veröffentlichtes Debütalbum “KingMaker” als auch dessen 2020 erschienener Nachfolger “Who Are You?” tauchten prominent in den Jahresbestenlisten diverser Publikationen auf. Das US-Jazzmagazin DownBeat war gar der Meinung, dass der Vibraphonist und Komponist zu den 25 Künstlern gehört, die in den kommenden Jahrzehnten den Jazz maßgeblich prägen dürften. Dass mit ihm definitiv zu rechnen ist, macht sein ambitioniertes drittes Album “The Parable Of The Poet” deutlich, das – wie schon die ersten beiden Soloeinspielungen – jetzt bei Blue Note erschienen ist. Während viele Nachwuchstalente des Jazz erst einmal auf das Interpretieren von bekannten Standards setzen, gibt Joel Ross seit jeher seinen eigenen Kompositionen und denen seiner ebenfalls jungen Mitstreiter/innen den Vorzug, greift aber auch gerne zu den Mitteln der kollektiven Improvisation.
Auf “The Parable Of The Poet” stellt Joel Ross ein neues achtköpfiges Ensemble vor, das laut JazzTrail “eine Frontline mit vier Bläsern und einer scharf fokussierten Rhythmusgruppe hat, in der Klavier und Vibraphon harmonisch nebeneinander existieren. Daraus resultieren glitzernde, geschliffene Klangoberflächen, die Emotion und Hingabe miteinander vereinen. Ross ist ein ernst zu nehmender Bandleader, und auf diesem Album kombiniert er seine Kreativität und sein Können mit seiner Freizügigkeit.” Letztere beweist er dadurch, dass er sich oft dafür entscheidet, nicht selbst in den Vordergrund zu treten, sondern die Musik kollektiv fließen lässt. Nicht selten weckt das Ensemble dabei mit gedämpften Tönen, seiner berauschenden Melodienseligkeit und spirituellen Inbrunst wohlige Erinnerungen an Charlie Hadens legendäres Liberation Music Orchestra.
Zur Seite steht Ross hier einmal mehr der Altsaxofonist und Label-Kollege Immanuel Wilkins, der den Vibraphonisten schon auf seinen ersten beiden Alben begleitet hatte. Vervollständigt wird die ungemein agile Bläser-Frontline durch die aus der Schweiz stammende Tenorsaxofonistin María Grand, den Trompeter Marquis Hill und die Posaunistin Kalia Vandever. In der Rhythmusgruppe leisten dem Vibraphonisten äußerst kompetent Pianist Sean Mason, Bassist Rick Rosato und Schlagzeuger Craig Weinrib Gesellschaft. Und in einer Nummer stößt schließlich noch als Gast die Flötistin Gabrielle Garo hinzu, mit der Joel Ross gelegentlich auch im Duo auftritt. “Diese Band ist mehr als nur eine Ansammlung von Instrumentalisten”, sagt der Leader mit Nachdruck. “Jedes einzelne Mitglied dieser Band bedeutet mir etwas. Sie sind alle meine Freunde. Sie teilen meine Visionen und tragen das Ihre dazu bei, diese hier musikalisch umzusetzen.”
Diese Visionen sind zugleich eindeutig und geheimnisvoll. Der Vibraphonist hat versucht, Themen aus Parabeln aufzugreifen, wobei er die Details der einzelnen Geschichten für Interpretationen offen lässt. Jeder Titel der siebenteiligen Suite verweist auf eine emotionale Entscheidung oder Erfahrung von Joel Ross. Im Studio richtete er den Fokus auf neue Interpretationen, die zwar auf seinen Entscheidungen und Erfahrungen beruhen, der Band aber nicht ihre musikalische Umsetzung diktieren. “Ich habe ihnen gesagt: ‘Das hier ist die Musik, und ich möchte, dass ihr sie auf diese Weise angeht – alles, was wir spielen, sollte von der Melodie inspiriert sein. Viel mehr wurde nicht festgelegt”, sagt Ross, der die Grenzen zwischen Melodie und Improvisation gerne verwischt, um die Kommunikation und einen sinnvollen musikalischen Diskurs zu fördern.
Das Ergebnis ist ein oftmals kammermusikalischer Jazz mit pastellfarbenen, samtweichen Tönen der Bläser und Melodielinien von berückender Schönheit, dem alle Ensemblemitglieder als Solisten immer wieder neue Glanzlichter aufsetzen.