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Kunst oder Rassismus? – Skandal beim Jazzfestival in Montréal

Dürfen weiße Künstler ein Musical über die Sklaverei aufführen, das auf afroamerikanischen Songs basiert? In Montréal ist darüber ein erbitterter Streit entbrannt.
Montreal Jazzfestival
Montreal Jazzfestival
05.07.2018
“Das Gegenteil von gut ist gut gemeint”, heißt es. Diese Erfahrung durften jetzt die französische Sängerin Béatrice Bonifassi und der kanadische Theaterregisseur Robert Lepage machen, als sie beim Jazzfestival in Montréal das Musical “SLĀV” uraufführten, eine “musikalische Odyssee, die auf Sklavenliedern basiert”.
Dabei begingen beide Künstler nach Meinung ihrer Kritiker gleich mehrere unverzeihliche Fehler: so versuchten sie das Thema der Sklaverei in einen breiteren Kontext zu stellen und beschränkten sich, obwohl der Großteil der Lieder aus afroamerikanischen Quellen stammt, nicht auf die Geschichte der Versklavung in den USA. Schlimmer noch: sie besetzten das sechsköpfige Ensemble mit vier weißen und nur zwei schwarzen Akteuren und hatten die unglückliche Idee, die weißen Protagonisten auch Rollen als Feldsklaven und Baumwollpflücker übernehmen zu lassen.
Dass neben afroamerikanischen Liedern aus der Sammlung der (weißen) Musikethnologen John und Alan Lomax auch Stücke aus Bulgarien, Serbien und von kanadischen Mestizen (sogenannten Métis) das Repertoire bereicherten, beruhigte die erhitzten Gemüter in keinster Weise. Vor dem Théâtre du Nouveau Monde, in dem die Aufführung stattfand, gab es eine Protestkundgebung, bei der den Künstlern und Veranstaltern u.a. “kultureller Neo-Imperialismus” und gar “Rassismus” vorgeworfen wurde.
Kontraproduktiv erwies sich zudem ein Statement, mit dem Bonifassi und Lepage besänftigen wollten: “Ja, die Geschichte der Sklaverei in all ihren verschiedenen Formen gehört in allererster Linie denen, die unterdrückt wurden, und den Nachfahren dieser Menschen”, konnte man da lesen. “Vielfalt und ihr künstlerisches Potenzial stehen ebenso im Mittelpunkt von ‘SLĀV’ wie das Erbe der Sklaverei … Haben wir das Recht diese Geschichte zu erzählen? Die Zuschauer haben die Möglichkeit, das nach dem Besuch der Show zu entscheiden.”
Dass das Publikum bei Eintrittspreisen ab 60 Dollar ein überwiegend weißes sein würde, war allerdings nur Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Als Konsequenz sagte der amerikanische Singer/Songwriter Moses Sumney daraufhin kurzfristig seinen Auftritt beim Jazzfestival in Montréal ab. Die Veranstaltung verkaufte sich übrigens so schnell aus, dass noch schnell neun weitere Aufführungen angesetzt werden mussten. Aber irgendwie kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass bei diesem Disput letztendlich alle Seiten verloren haben.
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