Auf Streife im Netz | News | Jazz ohne Freigeist?

Jazz ohne Freigeist?

Foto Auf Streife im Netz Jazzecho
Foto Auf Streife im Netz Jazzecho
17.07.2015
Hollywoodfilme mit Jazz-Thematik sind selten. Und selten so erfolgreich wie “Whiplash”, das Schlagzeuger-Drama des jungen Regisseurs Damien Chazelle. Gerade ist das Werk auch bei uns in Deutschland auf DVD erschienen. Der dreifach Oscar-ausgezeichnete Film, der weltweit auch noch etliche weitere Preise abräumte, handelt vom jungen Jazzschlagzeuger Andrew Neiman (dargestellt von Miles Teller), dessen Traum es ist, in die Fußstapfen seines legendären Idols Buddy Rich zu treten. Er beginnt ein Studium am fiktiven Shaffer Conservatory of Music in New York, wo er in die Fänge des despotischen Bigband-Leaders Terence Fletcher (gefährlich gut: J. K. Simmons) gerät. Zwischen den beiden Protagonisten entwickelt sich schnell eine hochemotionale Sado-Maso-Beziehung, bei der Fletcher nicht nur ungeheuren psychischen Druck auf seinen Schüler ausübt, sondern auch physische Gewalt anwendet. Der Mißbrauch kostet Fletcher schließlich den Job und führt dazu, dass Neiman sein Buddy-Rich-Poster wegwirft und das Schlagzeugspielen aufgibt. Doch da ein guter Hollywood-Film ein Happy End braucht, kreuzen sich die Wege der beiden Hauptfiguren später noch einmal. Fletcher lädt Neiman überraschenderweise dazu ein, mit seiner Band zu spielen, allerdings nur um ihn ein weiteres Mal zu demütigen. Doch diesmal gibt Neiman nicht auf und schafft es endlich, Fletcher mit einem phänomenalem Schlagzeug-Solo zu beeindrucken.

Wenig beeindruckt zeigten sich allerdings Jazzkritiker und -musiker, also Kenner der Materie, von dem Film. “Die ‘gewinnende’ Schlagzeug-Solo-Performance am Ende des Films war ein wenig überholt”, monierte beispielsweise Peter Erskine, “Wenn der Film in der ‘Jetztzeit’ angesiedelt ist, würde jeder Schlagzeuger, der bei einem Festival-Wettbewerb – vor allem in New York – so spielt, vom Geist von Papa Jo Jones – oder stellvertretend von mir – ein Becken vor die Füße geworfen bekommen.” Erskine gilt seit den 1970er Jahren als einer der besten modernen Jazzschlagzeuger der Welt. Er bildete mit der E-Bass-Legende Jaco Pastorius nicht nur vier Jahre lang das rhythmische Rückgrat der Band Weather Report, sondern arbeitete zahllosen Größen wie Diana Krall, Eliane Elias, Jan Garbarek und Gary Burton. Seit zehn Jahren leitet er selbst die Schlagzeug-Abteilung der University of Southern California. Pikanterweise war Erskine auch an der Aufnahme von Bonus-Material für die DVD-Veröffentlichung von “Whiplash” beteiligt. “Im Jazz gibt es zu viele Freigeister, die so ein Verhalten (wie das von Fletcher) nicht hinnehmen würden”, meint er. “Ich bin enttäuscht, dass die Leute, die sich den Film anschauen, nichts von der Freude des Musikmachens sehen, die fast immer Teil der Proben und Auftritte größerer Ensembles ist. Musiker machen Musik, weil sie Musik lieben. Das spürt man in diesem Film nicht wirklich.”
Mehr von Auf Streife im Netz