Vergesst Rodrigo!
Es gibt ein paar Eckpunkte in der Welt des modernen Flamenco. Einer davon ist Camarón de la Isla, einer der bekanntesten und folgenreichsten Sänger seiner Zunft. Der 1992 verstorbene Großmeister der ritualisierten Emotion mehrte seinen Ruf nicht nur über seine eigene Kunst, sondern auch über die großartigen Gitarristen, die er zu seinen Begleitern auserkor. Der erste was Paco de Lucia, der ihm bis etwa 1984 zur Seite stand. Seit den späten Siebzigern wechselte er sich mit einem jungen Kollegen aus Almería ab, den man Tomatito nannte, weil er als Spross der Gitarristenfamilie Torres in die Fußstapfen seines Vaters und seines Großvaters trat, denen man beiden den Spitznamen „El Tomate“ gegeben hatte. Wie schon Lucia war auch der jüngere Kollege keiner der stilistischen Hardliner, sondern interessierte sich für die Möglichkeiten eines grenzüberschreitenden Verständnisses von Flamenco. Von 1992 an konnte man ihn zunehmend mit sehr unterschiedlichen Formationen erleben, etwa im Duo mit dem Latin-Jazz-Pianisten Michel Camilo, zuweilen auch als Gast von Pop-Produktionen wie bei Elton John oder als Filmkomponist („Bin ich schön?“ von Doris Dörrie).