Herbie Hancock | News | Herbie Hancock - das stilistische Chamäleon

Herbie Hancock – das stilistische Chamäleon

Herbie Hancock - 5 Original Albums
Herbie Hancock - 5 Original Albums
06.01.2017
31. Oktober 1967, Konserthuset in Stockholm. Ein Auftritt des legendären zweiten Miles Davis Quintet mit Wayne Shorter, Herbie Hancock, Ron Carter und Tony Williams. “Die Nacht war magisch”, erinnert sich Hancock noch rund fünfzig Jahre später, “das Publikum war hingerissen, die Band war heiß, kommunizierte telepathisch, traumhaft. Von einer solchen Nacht träumt jeder Jazzmusiker.” Doch dann gerät der Traum für den Pianisten zum Albtraum. Er spielt während eines Solos von Miles in “So What” einen vollkommen falschen Akkord. Das Blut gefriert ihm in den Adern… und beginnt erst wieder zu zirkulieren, als er hört, wie Miles nach kurzem Zögern aus dem Stegreif Noten aus dem falschen Akkord in sein Solo einbaut und diesen so legitimiert. Die Lehre, die Hancock daraus zog: Es gibt keine falschen Noten; man sollte sie einfach als Chance begreifen, um über sie zu improvisieren.
Heute sind vierzehn Grammys, ein Oscar für die beste Filmmusik und zahlreiche weitere Ehrungen Indizien dafür, dass Hancock in seiner langen Karriere nur sehr wenig falsch gemacht hat. Als einem der großen Meister der Improvisation ist es ihm gelungen, sich in so ziemlich jedes Genre einzufühlen und zu einem stilistischen Chamäleon zu werden. Hancock machte sich einen Namen als Pionier funkiger Jazz-Fusion, flirtete später mal mit Disco-Musik, mal mit Hip-Hop und unternahm auch immer wieder Ausflüge ins Reich der Popmusik. Den Grundstein für seine erstaunliche Vielfältigkeit legte der Pianist allerdings bereits in den 1960er Jahren mit den ersten Soloalben, die er für Blue Note einspielte. Fünf dieser bahnbrechenden frühen Meisterwerke erschienen nun zusammen in der preiswerten Box “5 Original Albums”, die mit Original-LP-Artworks, Stecktaschen-CDs und einem attraktiven Schuber ausgestattet ist.
Takin’ Off (1962)
Mit seinem passend betitelten Debüt legte Hancock 1962 einen perfekten Start in seine Solokarriere hin. Der “Rough Guide To Jazz” nennt das Album “eines der erfolgreichsten und atemberaubendsten Debüts in den Annalen des Jazz”. Mit “Watermelon Man” landete Hancock gleich seinen ersten großen Hit: die groovig-bluesige Instrumentalnummer gelangte in die Top 100 der Pop-Charts! Ganz Ohr war auch Miles Davis, der den jungen Label-Kollegen vom Fleck weg für sein neues Quintett engagierte, mit dem der Pianist dann von 1963 bis 1968 Jazzgeschichte schreiben sollte.
My Point Of View (1963)
Kurz bevor er im Mai 1963 bei Miles einstieg, spielte Hancock mit “My Point Of View” noch sein zweites Soloalbum ein, auf dem sich mit “Blind Man, Blind Man” erneut eine einprägsame, soul-jazzige Nummer befand. Mit von der Partie war bei der Einspielung neben Trompeter Donald Byrd, Posaunist Grachan Moncur III, Tenorsaxophonist Hank Mobley, Gitarrist Grant Green und Bassist Chuck Israels auch der erst 18-jährige Schlagzeuger Tony Williams, mit dem Hancock schon wenig später im Quintett von Miles wieder zusammentraf.
Inventions & Dimensions (1963)
Auf seinem dritten Album kombinierte Hancock auf ungewöhnliche Weise modalen Jazz und Post-Bop mit lateinamerikanischen 6/8-Rhythmen. Die Session mit Bassist Paul Chambers, Schlagzeuger Willie Bobo und Perkussionist Osvaldo “Chihuahua” Martinez war laut Hancock ein “organisiertes Chaos”. Für jedes Stück gab er den Musikern nur ein paar Grundregeln vor und jedes Mal waren diese anders. “Ich sagte Paul Chambers nicht, welche Akkorde er spielen sollte, weil ich es selbst noch nicht wusste”, erläuterte Hancock die ausgefallene Vorgehensweise. “Alles, was ihm und den anderen Musikern bekannt war, war die Taktart. Die Melodie und die Form eines jeden Stücks entwickelten sich spontan.”
Speak Like A Child (1968)
Drei Jahre lang – zwischen März 1965 und März 1968 – hatte sich Hancock fast ausschließlich auf seine Rolle im Miles Davis Quintet konzentriert und außer dem Soundtrack-Album zu  Michelangelo Antonionis Film “Blow Up” kein Album mehr unter seinem Namen herausgebracht. Dann meldete er sich mit “Speak Like A Child” zurück. Und der Einfluss von Miles war in den neuen Kompositionen Hancocks sofort spürbar. Die Musik kommt entspannter, melodischer und einfacher daher, obwohl sie nach wie vor viel Raum für Improvisationen lässt. Der ungewöhnliche Bläsersatz – mit Flügelhornspieler Thad Jones, Bassposaunist Peter Phillips und Flötist Jerry Dodgion – trägt außerdem eine Handschrift, die an den vormaligen Miles-Davis-Partners Gil Evans erinnert.
The Prisoner (1969)
“The Prisoner” war nicht nur Herbie Hancocks letztes Album für Blue Note, sondern zugleich auch sein ambitioniertestes. Es entstand ziemlich genau ein Jahr nach der Ermordung des Bürgerrechtlers Dr. Martin Luther King, dem Hancock das Album widmete. “The Prisoner” ist eine Art Musik gewordenes sozialpolitisches Statement. Begleitet wurde der Pianist bei der Einspielung von einem Nonett mit u.a. Tenorsaxophonist Joe Henderson, Flötist Hubert Laws, Flügelhornist Johnny Coles, Posaunist Garnett Brown, Bassist Buster Williams und Schlagzeuger Albert “Tootie” Heath.
 
Mehr von Herbie Hancock