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Zum Tod von Kenny Wheeler: Der Mann, der seinem Horn Flügel verlieh

Im Alter von 84 Jahren ist am 18. September, kurz nach der Fertigstellung eines neuen Albums für ECM Records, Flügelhornist Kenny Wheeler gestorben.
Kenny Wheeler
Kenny Wheeler© W. Patrick Hinely / ECM Records
26.09.2014
Ich wünschte, Elvis Presley wäre noch am Leben und seine Musik tot” soll der kanadische Flügelhornist Kenny Wheeler einmal gesagt haben. Dass er diese Bemerkung tatsächlich von sich gegeben hat, darf freilich bezweifelt werden. Zum einen passt sie so gar nicht zu dem Musiker, der nie durch große Worte und noch weniger durch Provokationen auffiel, sondern meist seine ausgefeilten Kompositionen und intelligenten Improvisationen für sich sprechen ließ. Zum anderen beschränkte sich Wheeler in seiner Karriere keineswegs auf Jazz und improvisierte Musik, sondern arbeitete auch immer wieder mit Künstlern aus dem Pop- und Rockfach zusammen. Etwa mit Joni Mitchell, David Sylvian oder Bill Bruford. Und außerdem war Wheeler bekanntlich über viele Jahre hinweg Mitglied des United Jazz + Rock Ensemble.
Der am 14. Januar 1930 in Toronto geborene Kenneth Vincent John Wheeler erlebte erst relativ spät seinen internationalen Durchbruch. Ein Umstand, der sicher auch der Entscheidung geschuldet war, dass er 1952 von seiner Heimat Kanada nicht in die Jazzwelthauptstadt New York zog, sondern nach London. Dort verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Musiker in Swing- und Tanzbands, während er parallel mit Jazzern wie Ronnie Scott, Joe Harriott und Tubby Hayes zusammenarbeitete. In den 1960er Jahren wandte er sich mehr dem freien Jazz und der improvisierten Musik zu. Einen ersten Achtungserfolg landete er mit seinem zweiten Soloalbum “Song For Someone”, das vom Melody Maker zum Album des Jahres 1975 ernannt wurde. Noch im selben Jahr ging Wheeler mit Keith Jarrett, Dave Holland und Jack DeJohnette in ein New Yorker Studio, um für ECM Records das Album “Gnu High” einzuspielen, das ihn schlagartig in der weltweiten Jazzszene bekannt machte. In den folgenden 25 Jahren nahm er unter eigenem Namen, als Mitglied des Trios Azimuth (das er mit der Sängerin Norma Winstone und Pianist John Taylor bildete) oder Sideman von u.a. Ralph Towner, Rainer Brüninghaus, Dave Holland, Bill Frisell, Pierre Favre und John Abercrombie etliche prägende Alben für das Münchener Label auf. Sein letztes ECM-Album war 1999 “A Long Time Ago”.
2005 wurde Wheeler in Deutschland mit der German Jazz Trophy für sein Lebenswerk geehrt. Die Royal Academy of Music in London, an der Wheeler lange Zeit unterrichtete, vergibt seit 2011 den Kenny Wheeler Music Prize an einen ihrer Absolventen, der sowohl als Performer wie Komponist zu bestechen weiß.
Jetzt ist Kenny Wheeler, der im Dezember 2013 noch ein neues Album aufgenommen hatte, mit dem er sein Comeback bei  ECM Records feiern wollte, am 18. September im Alter von 84 Jahren in einem Pflegeheim in London gestorben. “Die Nachricht vom Tod Kenny Wheelers erreichte uns nur zwei Wochen, nachdem wir die Abmischung und das Mastering seines neuen Album beendet hatten, das letztes Jahr zu Weihnachten im Londoner Abbey Roads Studio aufgenommen wurde”, teilen Manfred Eicher und Steve Lake aus dem ECM-Büro in München mit. “Die Sessions selbst war inspirierend, ein sehr geschwächter Kenny nahm all seine Kraft zusammen, um kreative und bewegende Flügelhorn-Improvisationen über neun seiner feinen Kompositionen zu spielen. Unterstützt wurde er von einigen seiner bevorzugten musikalischen Partner: Tenorsaxophonist Stan Sulzman, Gitarrist John Paricelli, Bassist Chris Laurence und Schlagzeuger Martin France. Drei der Musiker waren beim Abmischen des Albums dabei, das nach Jahren Kennys Rückkehr zu ECM markieren sollte. Ein Veröffentlichungsdatum für das Album steht noch nicht endgültig fest, aber aller Wahrscheinlichkeit nach wird es im Frühjahr 2015 erscheinen.”