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Bauchmusik – Thomas Quasthoff

Die Grammys stehen auf dem Fenstersims – Thomas Quasthoff muss niemandem mehr etwas beweisen. „Tell It Like It Is“ meint er daher und singt nicht Bach, sondern Lieder von Bill Withers, Stevie Wonder, Randy Newman
Thomas Quasthoff © by Harald Hoffmann / DG
Thomas Quasthoff © by Harald Hoffmann / DG© by Harald Hoffmann / DG
16.09.2010
„Ich bin nicht die neue Soul-Entdeckung“, meint Thomas Quasthoff, „und sicher auch nicht derjenige, der den Jazzgesang in Deutschland fünf Stufen weiter bringt. Aber darum geht es auch nicht. Es gibt manchmal wirklich Menschen, die einfach Dinge tun, weil sie sie gerne tun und weil ihnen das Spaß macht. Wir machen dieses Album, weil wir unheimliche Freude an diesen Songs haben – sie sind mir sogar sehr wichtig – und weil ich wirklich gerne mit diesen Musikern zusammenspiele“. Das klingt ein wenig nach Understatement, vielleicht auch nach dem nötigen Reflex, den man als klassischer Künstler in der Regel vorausschicken muss, wenn man das gewohnte Klangterrain verlässt. Schließlich gibt es noch immer Feingeister, die mit der Vermischung der Genres in Gestalt eines Interpreten ihre Probleme haben. Für Thomas Quasthoff selbst aber ist „Tell It Like It Is“ ähnlich wie der jazzgeprägte Vorgänger „Watch What Happens“ vor allem die Fortsetzung dessen, was er seit Jahren erfolgreich macht. Er singt, was er gut und herausragend findet, und das ist eben nicht nur das klassische Repertoire, sondern auch der soulfundierte Pop der vergangenen Jahrzehnte.
Sein Vorteil: Thomas Quasthoff hat nicht nur die Stimme und eine Technik, mit der er mühelos die Möglichkeiten des Ausdrucks ausloten kann, sondern auch das nötige Feeling, um das Experiment der Grenzüberschreitung erfolgreich werden zu lassen. „Man wächst ja mit Musik auf und bei mir waren die Übergänge, sagen wir mal, sehr fließend. Die Bandbreite war wirklich sehr, sehr groß. Mir war es auch immer wichtig, so eine Horizontweite zu haben. Einseitigkeit halte ich nach wie vor für gefährlich. Es ist doch enorm spanned, wenn man seine Fühler ein bisschen ausstreckt“. Das bedeutet zum einen, ein Repertoire zu wählen, das zur den eigenen Vorlieben passt. „Tell It Like It Is“ hat daher kaum Hitparaden-Kracher zu bieten, sieht man einmal von „I Can’t Stand The Rain“ ab, das einst unter anderem Tina Turners Comeback angeschoben hat. Die meisten Stücke sind Perlen des fortgeschrittenen Songwritings, etwa von Ray Charles Lieblingsautor Percy Mayfield, auch von John Hiatt, Bill Withers oder Stevie Wonder.
Eine Prise Selbstironie ist auch dabei, wenn Quasthoff von Randy Newman nicht nur „Rider In The Rain“, sondern auch das bissige „Short People“ ins Programm nimmt. Vor allem aber geht es ihm um die Emotionen, für die gerade Balladen wie das Titelstück reichlich Platz lassen. Damit die Umsetzung des Albums nicht ins Konventionelle kippt, hat sich Thomas Quasthoff nur auf das Wesentliche der souljazzigen Kernbesetzung konzentriert und Musiker dazu gebeten, die ihm bereits live eindrucksvoll zur Seite standen. Da sind zum einen der Pianist Frank Chastenier und der Gitarrist Bruno Müller, die für die harmonische Fundierung sorgen. Das Starteam Dieter Ilg und Wolfgang Haffner wiederum kümmert sich mit Bass und Schlagzeug um Groove und Dynamik. Produziert wurde das Album diesmal nicht von Till Brönner, sondern von Jay Newland, der schon mit Etta James und Norah Jones im Studio gearbeitet hat. Der Sound ist dadurch sogar noch ein wenig transparenter und präsenter geworden. Kurzum: „Tell It Like It Is“ ist die gelungene Fortsetzung eines Experiments, das Thomas Quasthoff einmal mehr als Überzeugungstäter seiner ganz persönlichen, bewegenden Kunst präsentiert.